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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Hündin, ein Lurcher-Welpe mit langen, geschmeidigen Beinen, die mich an moosbewachsene Weidenäste erinnerten. Die Hündin hatte während des Nachtmahls still zu unseren Füßen gelegen, doch nun, da sie ihren Namen hörte, schaute ihre zitternde Nase unter dem Tischtuch hervor. Der Baron streichelte ihren Kopf.
    »Ja, Constanza«, sagte er, »was habe ich dir denn jemals verweigert? Du bettelst so beredt um Spaziergänge und Aufmerksamkeit, dass ich fast immer nachgebe, selbst wenn ich im Grunde kein Bedürfnis nach einem Spaziergang habe. Du sprichst mit mir.«
    »Montaigne behauptete etwas sehr Ähnliches über einen seiner Hunde, Baron. Er scheue sich nicht, sagte er, einzugestehen, dass seine Natur so ›kindisch‹ sei, dass er ein Spiel, welches dieser Hund ihm vorschlage, nicht verweigern könne, auch wenn es womöglich seine Arbeit unterbreche.«
    »Ach! Nun, da bin ich eins mit ihm. Und ich freue mich dann stets über den Spaziergang mit Constanza – Ähnliches wird er sicherlich auch bei sich festgestellt haben. Mein Kopf wird dabei frei. Meine gesamte Auffassung von der Welt ändert sich dadurch zu ihren Gunsten.«
    Louise lächelte ihren Vater zärtlich an. Sie sagte: »Papas Auffassung von der Welt ist ohnehin schon bewunderungswürdig otimistisch, n’est-ce pas , Papa? Erzähl Sir Robert doch, warum du immer ein Notizheft bei dir trägst.«
    Der Baron lachte. Er nahm das Heft in die Hand und wedelte damit. »Ich fürchte einfach, Wunder zu verpassen, das ist alles! In meinem Alter ist das Gedächtnis schwach, doch überall um mich herum wird die Welt immer interessanter. Deshalb notiere ich mir alles.«
    »Papa bewahrt im Griff seines Spazierstocks eine Feder und ein Tintenfass auf, damit er zu jeder Zeit seine Schreibgeräte dabeihat.«
    »Vieles von dem, was ich hineinschreibe, ist unerheblich,Sir Robert. Absolut unerheblich. Doch es gibt auch Wunder. Und darum geht es. Zwischen all der Schlacke gibt es immer auch die glänzenden Goldkörner.«
    Ich sprach ihm meine Bewunderung für diese Gewohnheit aus. Und weil mein Herz in Frieden war (und weil ich mehrere Gläser vom ausgezeichneten Wein des Barons getrunken hatte), bekannte ich Louise und ihrem Vater, was ich noch niemandem außer Will Gates bekannt hatte – nämlich, dass ich vor langer Zeit versucht hatte, die Geschichte meines Lebens aufzuschreiben.
    »Oh, erzählt uns mehr, Sir Robert!«, sagte der Baron. »War das nicht anstrengend?«
    »Nein«, erwiderte ich, »denn ich fand den Versuch amüsant, meine eigene Natur zu ergründen – was Montaigne uns bekanntlich dringend anrät. Louise weiß, dass ich ein Mann unbesonnener Gelüste bin und von der Furcht verfolgt werde, das Leben zolle mir nicht gebührend Tribut. Doch ich bin auch sehr melancholisch und neige zu zügellosem Weinen – vor allem über meine eigenen Fehler. Und deshalb fand ich es amüsant, herauszufinden, wie diese unterschiedlichen Seiten von mir sich zu einer Geschichte formen.«
    »Das gefällt mir ausnehmend gut«, sagte der Baron. »Und wo ist diese Geschichte jetzt? Das heißt, wo ist das Buch?«
    Ich erzählte ihnen, das Buch habe sechzehn Jahre lang unter meiner Matratze gelegen und dabei Exkremente der Bettwanzen angesammelt, »und wie käme ich dazu, zu behaupten, diese winzigen Geschöpfe hätten keine Seele?«.
    »Wahrhaftig! Aber könntet Ihr nicht darum bitten, dass es unter der Matratze hervorgeholt und uns geschickt wird? Louise und ich würden dann den Dreck der Bettwanzen abwischen und darin lesen.«
    »Nun, ich glaube, es liegt jetzt fest verschlossen in der Schublade eines Sekretärs«, erwiderte ich, »und mein Diener Will könnte es tatsächlich herschicken. Doch was darin aufgezeichnet ist, sind all die Torheiten jener Zeit, meine Korruptheit und meine Versäumnisse. Das Bild, das Ihr daraus von mir gewinnt, würde mich Euch nicht sehr liebenswert erscheinen lassen.«
    »Da könntet Ihr euch irren«, sagte der Baron. »Was ich an einem Menschen schätze, ist Aufrichtigkeit. Sie ist das Wichtigste, wichtiger auch als kleine menschliche Schwächen. Und ich nehme an, dass Euer Buch aufrichtig ist, denn sonst wäre es sinnlos.«
    Schweigen senkte sich über den prächtigen Saal. Louise und der Baron sahen mich an und warteten auf meine Antwort. Schließlich sagte ich: »Als ich es schrieb, glaubte ich, aufrichtig zu sein. Doch nun erkenne ich, dass es voller Lügen und Selbsttäuschungen ist.«
    Das Zimmer, welches mir im Château zugewiesen wurde,

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