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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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von meinem Rock bürstete, tauchte plötzlich ein Dienstbote mit Perücke neben mir auf, reichte mir seinen Arm als Stütze und geleitete mich ins Haus.
    Ich sah, dass ich mich in einer großen, mit Steinfliesen ausgelegten Diele befand, in der ein Feuer aus Tannenzapfen brannte. Louise kam eine breite Treppe heruntergestiegen. Sie sagte leise meinen Namen. Hinter ihr folgte ihr Vater, der Baron, ein hochgewachsener Mann mit einem kahlen Scheitel, den lange, fliegende weiße Haare umkränzten wie die Blütenblätter eines zerzausten Gänseblümchens.
    Ich verneigte mich vor ihnen. Sie betrachteten mich mit unverhohlenem Erstaunen, als wäre ich der plötzlich herabgefallene Mann im Mond. An ihrer Seite standen zwei Lakaien mit Perücken in strammer Habachthaltung und blickten nur verstohlen auf das Blut, das aus meinem Bein auf die Fliesen tropfte.
    »Ich bitte um Verzeihung für mein plötzliches Erscheinen«, brachte ich stammelnd hervor. »Ich hatte gehofft, dass mir eine angemessenere Ankunft hoch zu Ross gelingen würde, doch alles, was ich in Bellegarde finden konnte, war ein Maultier, und fürwahr, es mochte mich kaum mehr, als ich es mochte, und so warf es mich in den Staub und …«
    »Pscht«, sagte Louise. »Ihr seid fürchterlich bleich. Ihr werdet noch ohnmächtig, wenn Ihr weiterredet. Wir werden Eure Wunde versorgen. Papa, das ist Sir Robert Merivel, der aus England gekommen ist, und wir müssen uns um ihn kümmern.«
    Der Baron glitt freundlich auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Ich sah sofort, dass die haselnussbraunen Augen in seinem faltigen Gesicht noch sehr lebhaft funkelten.
    »Seid willkommen, Sir Robert«, sagte er. »Meine Tochter hat viel von Euch gesprochen. Habt Ihr denn einen Koffer, der nach oben gebracht werden kann?«
    »Ach«, sagte ich. »Das Maultier hat sich zwar nicht mit mir befreunden können, doch zu meinem Gepäck fasste es eine große Zuneigung und ist mit meinem Koffer auf dem Rücken zurück nach Bellegarde galoppiert.«
    Daraufhin brach der Baron de Saint Maurice in ein großes Gelächter aus. »Oh, die Tiere!«, rief er. »Wie sie uns doch überraschen!« Dann schnippte er mit den Fingern seine Lakaien herbei, und ich wurde in einer Art Chaise , die nur aus den ineinanderverhakten Händen dieser Dienstboten bestand, vom Boden hochgehoben und die Treppe hinaufgetragen.
    Louise wusch und verband persönlich die Wunde an meinem Bein und bestrich sie mit der Salbe, die bei dem Ausschlag in Margarets Gesicht so hilfreich gewesen war.
    Während sie tupfte und reinigte, schwieg ich. Ich blickte nur auf ihren lieben Kopf. Als sie meine Wade verband, sagte sie leise: »Mein Brief war zu überstürzt, Merivel. Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass deine Tochter krank war. Dein Schweigen hatte mich verletzt, aber es war falsch, in so trotziger Manier zu schreiben. Ich hätte dir vertrauen sollen.«
    Dann hob sie den Kopf und blickte mich an. Ich hätte sie küssen können, doch das tat ich nicht. Nach meinem beschämenden Verhalten in der Kutsche auf der Straße nach Besançon schienen all meine fleischlichen Gelüste gestillt, ich sehnte mich nur noch danach, an Louises Seite zu sein, ihreGesellschaft zu genießen; erst später – womöglich viele Tage und Nächte später – würde ich sie in mein Bett bitten.
    Die Stunde des Nachtmahls war gekommen, und die Aussicht, an einem schön gedeckten Tisch zu sitzen, mit einem flackernden Kaminfeuer und der Unterhaltung von Louise und ihrem Vater, die meinen Ohren wohl wie eine komplizierte Melodie erscheinen würde, erfüllte mich mit Freude. Mein Herz würde, so dachte ich, nach den langen Monaten der Mühsal endlich Frieden finden.
    Blieb nur noch das Problem meiner zerrissenen Kniestrümpfe und meiner fehlenden Kleidung, doch Louise besorgte mir rasch einen schönen purpurfarbenen Rock, der mit goldenen Schnüren besetzt war und der Giraffe gehörte, dazu eine schwarze Kniehose und weiße Seidenstrümpfe, das Ganze gekrönt von einem unerhört weißen Hemd mit Rüschen am Hals und an den Handgelenken.
    Als ich mich so betrachtete, wie ich da halb ertrank in diesen Kleidungsstücken, die für einen sehr großen Mann gedacht waren, kam ich mir in meinem Aufzug vor wie eine Regimentsfahne – nicht mehr und nicht weniger –, eine schön verzierte Standarte, die auf irgendeinem entlegenen Schlachtfeld wehte. Und als im Winde flatternde Regimentsfahne hätte ich durchaus einige Würde besessen, doch als Mann sah ich absolut

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