Adieu, Sir Merivel
erschienen, keines war von solch heiterem Naturell wie Danseuse. Doch sie gab es schon lange nicht mehr.
Ich rief den Ziegenjungen herbei und fragte ihn, wo ich in Bellegarde wohl ein Pferd mieten könne. Doch er erklärte, niemand hier besitze ein Pferd, nur Esel und Maultiere, und obgleich mich das für einen Augenblick betrübte, erheitertemich ganz plötzlich die Vorstellung, wie ich auf einem bissigen Maultier sitzen würde. Ich musste wieder daran denken, dass es womöglich meine Lächerlichkeit und der hoffnungslose Mangel an Eitelkeit gewesen waren, die Louise de Flamanville besonders gefallen hatten, und dass unsere kurze Liebschaft von manch bebendem Gelächter begleitet worden war.
Der Ziegenjunge erklärte mir auch, das Château de Saint Maurice liege nur drei oder vier Meilen von Bellegarde entfernt, »aber höher als wir, und sie sagen, man hat von dort einen sehr schönen Blick auf den See«. Und nachdem er seine Ziegen in ihren Pferch getrieben hatte, brachte er mich zu seinem Vater, einem gebeugten Mann, der in der Dunkelheit eines niedrigen Hauses saß und mit dem Schnitzen einer Pfeife aus Meerschaum befasst war.
Sein Maultier war klein und mager. Es hatte etwas Gehetztes in seinen Augen.
»Wird sein Rücken denn stark genug sein, um mich und meinen Koffer zum Château zu tragen?«, wollte ich wissen.
»Ja«, erwiderte der Mann, »aber es wird nicht gehen.«
»Das Maultier wird nicht gehen? Habe ich Euch vielleicht missverstanden, Monsieur?«
»Nein, es wird nicht gehen.«
»Wie soll ich dann aber überhaupt irgendwo ankommen?«
»Ihr sitzt auf. Und dann wird es in einen Trab fallen. Gehen wird es nicht. Trab-und-Halt. Trab-und-Halt. Das ist seine Natur. Ja oder nein, Ihr könnt Euch entscheiden.«
Und so geschah es, dass ich den Waldweg zum Haus des Barons in einer Art Hüpftrab zurücklegte.
Gerade begann die Sonne zu sinken, und die großen Eichen und Tannen, die entlang des Wegs Spalier standen, wurden schwärzer und schwärzer, während wir immer näher kamen, das Maultier und ich. Erneut hatte ich das irritierende Gefühl, dass nicht der Himmel verblasste, sondern mein Augenlicht schwächer wurde. Und ich versuchte mit aller Macht, Licht in den Pfad zu bringen, damit ich das Haus, wenn es auftauchte, auch sehen und die runden Türmchen erkennen würde, die ich mir schon seit so Langem vorstellte.
Und dann sah ich es. Es war aus Stein erbaut, hatte ein hohes Schieferdach, hohe Mansardenfenster und schlanke Schornsteine – aber keine Türme. Ich zügelte das Maultier, und als wäre es verblüfft über den Anblick eines turmlosen Gebäudes, ließ es sich dazu herab, langsam darauf zuzugehen.
Wir näherten uns also im Schritt. Bis zu diesem Moment war ich einigermaßen besorgt um meinen Hintern gewesen – so wund, wie er war von der Reise mit Kutsche und Maultier –, doch nun war ich besorgt um mein Herz, das in einen heftigen, erdrückenden Aufruhr geriet. Schweißperlen standen auf meinen Lippen. Meine Beine in den zu kurzen Steigbügeln fühlten sich schwach an.
Und dann, siehe da! Erneut entschloss sich das elende Maultier zu einem Trab, und während es vorwärts eilte, fiel ich nach hinten in den Sattel, verlor die Zügel, verlor vollkommen das Gleichgewicht – und gerade als wir den Irrgarten vor dem großen Eingangstor umrunden wollten, lag ich einfach unten im Kies.
Befreit von meinem Gewicht, schoss das Maultier nun mit einem verrückten Galopp um den Irrgarten herum und lief, vorbei an der Tür, mit hoher Geschwindigkeit denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, all meine Habe noch an seinen mageren Rumpf geschnallt. Der Staub, den seine fliehenden Hufe aufwarfen, flog mir in die Augen.
Ich brachte mich in eine sitzende Haltung. In meinem linken Schienbein setzte ein stechender Schmerz ein. Ich saß da, atmete mühsam und wischte mir den Staub aus dem Gesicht – ein trauriger Kloß mit hängenden Schultern in der schnell einfallenden Dämmerung.
Niemand trat aus dem Haus. In der Ferne konnte ich dasGeräusch von kleinen Wellen hören, die sich an einem steinigen Ufer brachen.
»Merivel«, sagte ich zu mir, »das ist eine schöne Bescherung.«
24
Eine beträchtliche Menge Blut begann aus meinem Bein zu sickern, und meine Strümpfe wurden nass. Mit einem Mal konnte ich jetzt Bussarde hören und sehen, die über mir in der Dämmerung kreisten, weshalb ich versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, um nicht tot gepickt zu werden. Während ich Kies und Staub
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