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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Perücke war heruntergefallen. Mein Gesicht brannte vor Scham. Ich wollte mich entschuldigen, wandte mich um und stand plötzlich Auge in Auge mit Oberst Jacques-Adolphe de Flamanville.
    Von seiner großen, strengen Höhe herab und immer noch, mitsamt Schwert, in die Uniform der Schweizer Garden gekleidet, betrachtete er mich. Hinter ihm stand ein weiterer Offizier, auch er in Uniform, der mich ebenfalls mit Furcht und Abscheu anstarrte, als wäre ich irgendein widerliches Reptil in einem Käfig.
    Als ich Louise ungeschickt die Hand hinhielt und ihr auf die Füße half, sagte de Flamanville: »Ich sehe mich genötigt, Euch zu töten. Ihr besitzt keine Ehre, Sir, und um meine zu retten, werden wir das Ritual eines Duells absolvieren. Wir sehen uns am Freitagmorgen beim ersten Tageslicht.«
    Ich wusste nichts zu sagen. Ich sah nur die absolute Dämlichkeit dessen, was geschehen war. Noch vor zehn Minuten hatte ich still an meinem Traktat gearbeitet; und jetzt hatte ich mein Todesurteil besiegelt. Oder, genauer, Louise hatte es besiegelt.
    Zu meiner großen Beschämung machte ich mir keinerlei Sorgen um etwaige Bestrafungen, die Louise von ihrem Gemahl zu erwarten hatte, sondern beklagte plötzlich nur mitfurchtbarer Heftigkeit das drohende Ende meines eigenen Lebens.
    Ich fühlte, wie ich beinahe ohnmächtig wurde, und hielt mich an der Lehne des Stuhls fest, auf dem wir noch eben gesessen hatten. Louise sah, wie gedemütigt ich durch die Erklärung des Oberst war, und das gab ihr vermutlich die Kraft, sehr ruhig zu ihrem Gatten zu sagen: »Über deiner lächerlichen Androhung eines Duells hast du vergessen, mich und Sir Robert deinem Begleiter vorzustellen, Jacques. Ist das dein Liebhaber Petrov?«
    »Louise«, sagte de Flamanville, »ich schlage vor, du begibst dich in dein Zimmer und bringst dich in Ordnung. Du stinkst wie eine Füchsin.«
    »Und du, mein Lieber, stinkst wie immer nach Grausamkeit«, sagte Louise. »Ich werde selbstverständlich in mein Zimmer gehen – in mein Zimmer im Haus meines Vaters, wo ich mich benehme, wie ich möchte, und empfange, wen ich möchte. Doch bevor ich gehe, möchte ich noch hören, ob du deinen Lustknaben mit unter dieses heilige Dach gebracht hast oder nicht.«
    De Flamanville öffnete schon den Mund, um zu antworten, doch da trat sein Begleiter vor, schlug fast nur symbolisch die Hacken zusammen und sagte: »Mein Name ist Capitaine Beck, Madame. Ich stehe in Versailles unter dem Befehl Eures Gemahls. Ich bin nicht Petrov.«
    »Aha«, sagte Louise. »Nun, Capitaine Beck, darf ich Euch bitten, zusammen mit meinem Gemahl das Haus wieder zu verlassen, bevor mein Vater von seinem Spaziergang zurückkehrt und euch beide hinauswirft. Er ist Baron Guy de Saint Maurice de Neuchâtel. Er wird keine Duelle auf seinem Boden dulden, und ich garantiere Euch, dass er Sir Robert unter Einsatz seines Lebens verteidigen wird.«
    Das schien Beck zu verwirren, doch die Giraffe richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter dreiundneunzig auf und sagte: »Louise, du hast offenbar die Situation nichtverstanden. Ganz gleich, was dein Vater sagt oder tut, dein lächerlicher Liebhaber wird sterben. Das gebietet mir meine Ehre. Capitaine Beck wird sich wegen der Formalitäten an Sir Robert wenden. Es kann mit Schwertern oder Pistolen geschehen. Mir ist alles gleich, denn er hat mit beiden nicht die geringste Chance.«
    Da hatte er Recht. Ich war weder ein Mann des Schwerts noch ein Meisterschütze. Ich hätte de Flamanville selbst aus einer Entfernung von zwanzig Schritt und mit einer Donnerbüchse nicht sicher treffen können. Als die zwei Männer gegangen waren, sank ich auf den Stuhl, auf dem ich so leidenschaftlich gern den ganzen Morgen über gesessen hätte, und sagte: »Nun, Louise, das war’s. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Rolle des Feiglings zu spielen und wegzulaufen.«
    »Nein!«, erklärte Louise. »Denn das ist es genau, was er von dir erwartet. Er wird sofort die notwendigen Vorkehrungen treffen, dir auflauern und dich hinterrücks erstechen.«
    »Ich habe doch nur zwei Möglichkeiten – entweder auf die eine oder auf die andere Art zu sterben.«
    »Nein«, sagte Louise. »Es gibt noch einen Weg, an de Flamanville heranzukommen. Über Geld. Denn er hat nur sehr wenig – nicht genug, um seine Bedürfnisse in der Fraternité zu befriedigen –, sein Vater hat das Familienvermögen der de Flamanvilles verspielt. Alles, was er und ich besitzen – das Haus im Faubourg

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