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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Oberst hatte einen Liebhaber. Einen sehr jungen Offizier, fast noch ein Knabe …«
    »Petrov.«
    »Ja. Seine Liebe zu Petrov war sehr groß. Zu mir sagte er, es sei eine besondere Liebe – die Art von Liebe, die er zwischen Soldaten für möglich gehalten hatte, eine von Gott gestiftete Liebe. Sie trieb den Obersten in eine religiöse und körperliche Liebesraserei. Petrov war schön wie ein Mädchen undvoller Anmut. Der Oberst war im Paradies. Er glaubte, sein Leben würde hinfort mit Petrov stattfinden – und es würde ein wunderbares, nobles und treues Leben sein. Doch etwas geschah.«
    »Ja?«
    »Petrov betrog ihn. Das heißt, er verließ ihn – für einen anderen Offizier. Ich vermute, das tun die schönen Menschen immer: Sie versuchen, die ganze Welt zu verführen.«
    Beck schluckt. Ich sehe, dass er sich außerordentlich unwohl fühlt, doch ich bleibe stumm, und nach einem kurzen Moment fährt er fort mit der Geschichte: »Der Oberst hat darum gekämpft, sein Leben weiterzuführen, seine Pflichten in der Garde Seiner Majestät zu erfüllen. In diesem kämpferischen Bemühen hat er sich als sehr tapfer erwiesen, aber er möchte es jetzt nicht länger ertragen. Wenn er nicht mit Petrov leben kann, zieht er es vor, zu sterben.«
    »Könnte er Petrov denn nicht dazu bewegen, wieder zu ihm zurückzukehren?«
    »Er hat es versucht. Er ist vor ihm auf die Knie gefallen. Aber Petrov ist seiner überdrüssig und in einen anderen verliebt, und so ist es vorbei. Liebe ist etwas Schreckliches.«
    Beck wischt sich die schweißüberströmte Stirn. Ich erhebe mich und schenke ihm Wasser ein, und er dankt mir. Ich setze mich wieder aufs Bett und sage: »Verzeiht, Capitaine, aber wenn es den Oberst so sehr nach dem Tod verlangt, wieso bringt er sich dann nicht selbst um?«
    »Er ist ein Soldat, Sir Robert. Er lebt nach dem Kodex der Schweizer Garden, der einen ›ehrenvollen Tod‹ verlangt. Im Selbstmord liegt keine Ehre, außer als Wiedergutmachung für Feigheit vor dem Feind.«
    »Und deshalb hat er mich dafür ausgewählt? Hat seinen Zorn über das Verhalten seiner Gattin nur vorgetäuscht, damit ich zu seinem Henker würde?«
    »Das ist korrekt. Am Freitagmorgen werdet Ihr Eure Positionen für das Duell einnehmen. Der Oberst wird seine Pistole auf Euch richten, aber er wird nicht schießen. Ihr werdet schießen. Ihr werdet auf sein Herz zielen.«
    Schweigend starren wir einander an. Nach einigen Augenblicken sage ich: »Aber wie kann ich sicher sein, dass dies keine Falle ist? Oberst de Flamanville hat stets große Verachtung für mich gehegt, und ich kann mir gut vorstellen, dass es ihm eine Genugtuung wäre, mich zu töten.«
    »Ich verstehe Eure Zweifel, aber ich schwöre Euch, Sir, es ist keine Falle. Als sein Adjutant lebe ich nun schon viele Monate mit Oberst de Flamanville zusammen. Er ist wie ein Mann auf der Streckbank. Die Seelenqualen, die er erleidet, zerfleischen ihn. Er isst nicht, und er schläft nicht. Habt Ihr bemerkt, wie dünn er geworden ist? Wenn er Petrov erblickt, beginnt er zu zittern und wird ohnmächtig. Sein Leben ist die Hölle. Er denkt nur noch an den Tod.«
    Ich blicke zum Fenster, und über dem Horizont sehe ich erste Lichtstreifen einer blassen Morgendämmerung. »Es gibt … eine Schwierigkeit«, sage ich.
    »Und die wäre?«
    »Ich werde nicht fähig sein, ihn zu töten.«
    »Nein«, sagt Beck. »Auch das haben wir vorausgesehen. Ihr seid ungeübt. Wir haben eine Lösung gefunden.«

28
    Als ich wieder erwachte, blickte ich aus meinem Fenster und sah Louise, die allein durch den schneebedeckten Irrgarten wanderte. Sie trug einen Umhang, und ihr Schritt wirkte bedächtig und traurig.
    Ich sah ihr lange und mit dem Gefühl großer Zärtlichkeit nach. Doch unter diese Zärtlichkeit mischte sich der Kummer, dass meine Liebe zu ihr nicht so maßlos war wie die ihre zu mir.
    Als ich das erkannte, verfluchte ich meine eigensinnige Haltung der Verweigerung. Louise war eine Frau, so anmutig, gebildet und wunderbar, wie ich sie nur je an meiner Seite erhoffen konnte. Ich hätte frohlocken sollen, dass ich das Objekt ihrer Leidenschaft war. Und zum Teil – besonders, wenn mein fleischliches Verlangen nach ihr dem ihren nach mir entsprach – tat ich das auch. Doch die Vorstellung, den Rest meines Lebens mit ihr zu verbringen, ermüdete mich. Sie ermüdete mich deshalb, weil ich wusste, Louise würde zu viel von mir erwarten – von meinem Körper und von meinem Geist. Ich wusste, dass ich sie

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