Adieu, Sir Merivel
Saint-Victor, überhaupt alles –, kommt von meinem Vater. Der Baron wird eine große Summe anbieten. Jacques-Adolphe wird sie akzeptieren und gehen. Und du und ich machen einfach weiter wie bisher.«
»Und was ist mit der Ehre deines Mannes?«
»Ach, Merivel, hast du mir nicht einst selbst gestanden, dass du in deinem Pakt mit König Charles die Ehre gegen materiellen Besitz getauscht hast? Und begreift nicht jeder Mensch auf der Welt, wie einfach dieser Handel ist? Ich kenne Jacques-Adolphe. Er wird ihn für sehr einfach halten.«
»Louise«, sagte ich, »ich kann deinen Vater nicht bitten, mir das Leben zu erkaufen.«
»Nein«, sagte sie. » Ich werde ihn fragen.«
Ich sitze mit dem Baron an einem verlöschenden Kaminfeuer und trinke Rotwein.
Es ist spät und kalt, aber wir bleiben einfach sitzen. Der Baron ist zu diskret, um schon über de Flamanville oder meinen drohenden Tod zu sprechen oder darüber, was er tun könnte, um ihn aufzuschieben oder zu verhindern. Stattdessen diskutieren wir über Dinge, die uns mit der Welt verbinden.
Wir wenden uns dem Thema meiner Betrachtungen über die Tierseele zu, eine Arbeit, die er sehr schätzt, und ich beichte ihm meine eitle Fantasie, wie ich in der Royal Society vortrage und alle Naturphilosophen mir in jenem verschwiegenen Raum aufmerksam zuhören und endlich merken, dass ich zu einer Person mit Substanz geworden bin.
»Ach«, sagt der Baron. »Es ist doch interessant, dass es uns so schwerfällt, an unseren eigenen Wert zu glauben. Für mich seid Ihr längst eine Person mit Substanz, wie Ihr es nennt. Mit Euren medizinischen Fähigkeiten und Eurem tiefen Mitgefühl halte ich Euch für einen wertvollen Menschen. Wie Ihr es vielleicht mit mir auch tut. Doch in letzter Zeit bin ich zu der Einsicht gelangt, dass ich, trotz meines hohen Alters, nichts getan habe, um die Welt zu ändern. Ich habe viel geerbt. Ich habe noch mehr dazuerworben. Und das ist die Summe meines Lebens. Und deshalb habe ich mich mit meinem ganzen Herzen einem verrückten Unternehmen verschrieben.«
»Einem verrückten Unternehmen? Was mag das sein, Baron?«
Der Baron holt das kleine Notizheft hervor, das er immer bei sich trägt, und zeigt mir viele, viele Seiten mit Zeichnungen fliegender Maschinen. »Seht Ihr?«, sagt er, »ich bin ganz und gar närrisch. Bislang habe ich das Problem des Schubsoder der Vorwärtsbewegung nicht im Entferntesten gelöst. Wenn es mir doch nur gelänge! Dann hätte ich das Gefühl, dass ich einen großen Beitrag zum Glück der Menschheit geleistet habe. Es wäre so herrlich – wie Engel über die Erde zu fliegen. Ist das nicht eines der Dinge, nach denen wir uns in unseren Träumen sehnen?«
»In unseren Träumen verleihen wir uns diese Fähigkeit. Und beim Erwachen stürzen wir dann auf die Erde.«
»Genau. Aber stellt Euch vor, wir könnten über den See fliegen, und dann weiter gen Süden und zu den Bergen oder sogar über die Berge hinaus …«
»Nicht nur bloße Engel, sondern Götter!«
»Ja, Götter! Ach, Merivel, ich fürchte, ich werde das Problem nie lösen. Ich habe nicht mehr genügend Zeit. Manchmal habe ich ohnehin das Gefühl, ich hätte zu lange gelebt. Ich habe fünf Hunde überlebt. Und ich sage Euch, Merivel, das Alter bringt keine Weisheit. Das Alter bringt Eitelkeit, dummes Geplapper und eine entsetzliche Besorgtheit um Besitz und Reichtum. Die Vorstellung, ich könnte mein Vermögen verlieren, verfolgt mich nicht weniger als die fliegenden Maschinen.«
»Es ist menschlich, Angst vor der Armut zu haben. Und auch menschlich, dass wir das, was wir besitzen, an unsere Kinder weitergeben möchten.«
»Ja, und das bringt uns notwendig auf das Thema Louise. Ihr wisst, dass sie Euch liebt? Ihr seid es jetzt, der sie mit der Welt verbindet.«
»Ich gestehe, dass es mich überrascht, Baron. Niemand hat mich jemals geliebt.«
»Ich entdecke in ihren Augen den Wunsch, Euch zu verschlingen! Ihr seid der erste Mann, dem sie sich so hingegeben hat.«
»Ja …«
»Nun, Ihr müsst wissen, dass ich es nie fertiggebracht habe, meiner Tochter etwas auszuschlagen, worum sie michbittet. Warum sollte ich auch, wenn ich so stolz auf das bin, was sie ist und was sie vollbringt.«
»Das verstehe ich vollkommen, Sir.«
»So, und hier ist, was ich beschlossen habe. Ich werde de Flamanville auszahlen, aber nicht nur, um Euch das Leben zu retten. Ich werde ihm ein hübsches Vermögen dafür zahlen, dass die Ehe annulliert wird, sofern Ihr bereit seid,
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