Adieu, Sir Merivel
seinen letzten Momenten an seiner Seite zu sein, doch der bittere Verlust meiner medizinischen Instrumente habe mich davon abgehalten. Ich stellte mir vor, wie er mir jetzt zurief, so wie er es einst im Scherz beim Blindekuhspiel getan hatte: »Merivel! Wo bist du? Wo bist du?«
Und ich erwiderte, dass ich ihm im Geiste stets nahe gewesen sei, dass ich ihn seit über zwanzig Jahren liebe und dass ich, auch wenn ich manchmal versucht hätte, diese Liebe zu vergessen, dazu nicht in der Lage gewesen sei. Ich war, in Pearce’ harten Worten, der Sklave Seiner Majestät. »Doch dieses Sklaventum hat mich nicht gestört!«, rief ich laut. »Denn was ist ein menschliches Leben wert, wenn es sich nicht einer Sache widmet, die größer ist als es selbst? Wenn ich euch nicht gedient hätte, wenn ihr mich nicht aus meinem trägen Schlaf gerissen hättet, wäre ich ein Nichts gewesen.«
Den ganzen Tag lang läuteten die Glocken.
Ich lag wie gelähmt, hätte mich gern den großen Menschenmengen in der Stadt angeschlossen, die auf dem Weg nach Whitehall waren, denn ich wollte ihm die letzte Ehre erweisen. Doch so groß war der Schmerz in meinem Schädel und so erschöpft war ich vom Weinen, dass ich kaum den Kopf von dem stinkenden Kissen heben konnte.
Essen wurde mir gebracht – Hammelfleisch und Brot und ein kleiner Becher Bier. Eine Krankenschwester half mir, mich aufrecht zu setzen. Und ich griff nach dem Bier und trank es, wie ein Ertrinkender Luft schluckt. Dann fragte ich die Schwester: »Könnt Ihr mir bitte sagen, wo meine Kleider sind? Ich brauche sie, um dorthin zu gehen, wo die Pflicht mich erwartet, zum Leichnam des Königs.«
Sie besprach sich mit der Oberschwester, und diese Frau kam zu mir und sagte: »Ihr wurdet so, wie Ihr seid, zu uns gebracht, in Eurer Unterwäsche und mit den Schuhen. Man hielt Euch offenbar für tot und raubte Euch alles andere.«
Ich verfluchte Fubbsys Dienstboten, die wohl weggelaufen waren und mich, trotz der anderthalb Schilling, die ich ihnen gegeben hatte, dem sicheren Tod überlassen hatten, und ich dachte bei mir: Hier komme ich nie mehr heraus. Die Tage werden vergehen, und der Leichnam der Katze wird verrotten, und ich werde ebenfalls verrotten, nackt und von allen vergessen. An diesem Ort begann eines meiner vielen Leben, und an diesem Ort wird es ein Ende finden, das ich nicht vorhersah: ein Ende aus Gram.
Die Nacht kam, und es wurde etwas Kohle aufgehäuft, damit wir nicht frören in unserer Trauer, und während der langen dunklen Stunden nahm das Klagen und Weinen der Patienten kein Ende und wurde nur hin und wieder durch das Geräusch eines Furzes oder eines plötzlichen Erbrechens belebt. Ich lag erschöpft auf meinem durchnässten Kissen und horchte auf all dies und schloss die Augen nicht. Ich sagte mir, dass ich Wache hielt bei der Seele des Königs.
Gesegnet sei der nächste Morgen, an dem sich gegen Vormittag eine Gestalt, die ich erkannte, langsam durch den Saal bewegte, jeden Patienten musterte und endlich an meinem Bett stehen blieb und laut rief, man habe mich endlich gefunden.
Es war Julius Royston.
»Julius«, sagte ich, »ich erkläre, dass ich Lazarus bin und du der Retter der Menschheit. Wenn ich mich aufrichten könnte, würde ich vor dir auf die Füße fallen und sie küssen.«
36
Der Tag, der auf den Abend der Beisetzung Seiner Majestät folgte, wirkte mit seinen Menschenmengen in schwarzem Trauerflor, die von unseren Fenstern aus überall zu sehen waren, und dem tief hängenden Himmel darüber wie eine Verlängerung der nächtlichen Dunkelheit. Ich stand mit Margaret an Fubbsys Fenstern, und wir beobachteten diese Massen im endlosen Halbdunkel der Wolken. Und ich dachte über die Liebe des Volks zum verstorbenen König nach, und mir schien, es müsse eine ebenso hartnäckige, sich immer wieder neu gestaltende Liebe wie die meine gewesen sein, weshalb die Menschen auch nicht zu bewegen waren, diesen Ort zu verlassen, den Ort, wo ihre Liebe endlich zur Ruhe gekommen war.
Margaret und ich sahen uns jedoch nur zu bald gezwungen fortzugehen.
Fubbsy hatte sich in das Haus des französischen Botschafters zurückgezogen und uns fast ohne Möbel und ohne frische Wäsche für unsere Betten zurückgelassen.
Am 16. Februar kam dann der Befehl von König James, die Gemächer seien »komplett zu räumen«, aber nichts daraus dürfe entfernt werden, nur wir selbst, »deren Zeit abgelaufen war«, hätten uns zu entfernen. Und so packte ich denn meine Kleider
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