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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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scheißen. In der Nähe dieser Schüsseln raschelte eine muntere Mäuseschar durch das vollgesogene Stroh.
    Ich hatte im Sinn gehabt, die Frau um ein Glas Wasser zu bitten, aber sie war nicht mehr da. In dem Bett neben dem meinen schlief ein Mann, sehr dünn, der Schädel rasiert für die Applikation eines Pflasters mit Spanischer Fliege und das Gesicht völlig verschorft von einer alten Pockenerkrankung. Speichel trat in Blasen aus seinem Mund und nässte sein Kinn und sein strohgefülltes Kissen. Und ich musste daran denken, dass Pearce stets sehr streng zu allen Pockenopfern gewesen war. Er hatte mir ernst in die Augen geblickt und gesagt: »Menschen, die ihr Elend durch Unzüchtigkeit herausfordern, erleiden das Schicksal, das sie verdienen.«
    Doch trotz seiner unvergessenen Härte wünschte ich, Pearce wäre jetzt an meiner Seite. Ich wünschte, er würde mich hochheben, von hier forttragen und in mein weiches Bett auf Bidnold legen und bei mir wachen, so wie ich einst siebenunddreißig Stunden lang bei ihm gewacht hatte. Ichwünschte, er säße still da und spielte mit seinen bleichen Händen so zärtlich mit der Suppenkelle aus Porzellan, als wäre es eine Laute. Ich wünschte, er brächte mir Wasser und zu essen.
    Ich betastete meinen Kopf mit der Hand und fühlte, dass dort ein Verband saß, und bei der Berührung des Verbands fiel mir wieder ein, dass ich mich in dem schwerfälligen Karren mit Fubbsys Truhen befunden hatte und dass es auf dem Weg zur Botschaft zu einer Katastrophe gekommen war.
    Aus den Schmerzen in meinem Kopf konnte ich nicht schließen, wie verletzt und angeschlagen er war, aber ich wusste, dass ich noch meinen Verstand besaß, denn meine Gedanken waren jetzt mit der Frage beschäftigt, ob es mir wohl gelänge, aufzustehen und einfach hier herauszuspazieren. Mit Schrecken dachte ich daran, wie besorgt Margaret um mich sein musste. Fubbs hatte nicht die geringste Ahnung, dass ich in den Wagen mit den Truhen gekrochen war, und verwirrt vor Kummer mochte sie Margaret irgendetwas Verrücktes erzählt haben, wie, zum Beispiel, ich sei nach Norfolk geflohen oder hätte mich im Fluss ertränkt.
    Auf meine Arme gestützt, richtete ich mich ein wenig im Bett auf. Nun sah ich, dass neben meiner jämmerlichen Pritsche ein Paar Schuhe stand, die ich, obgleich sie mit übelriechendem Rinnsteindreck verschmiert waren, als die meinen erkannte, und ich blickte mich suchend nach meinen übrigen Kleidern und meiner Perücke um. Alles, was ich trug, war meine Unterwäsche. Mein rechter Knöchel war, wie ich jetzt fühlen konnte, mit einem Verband umwickelt, aber meine Füße waren nackt.
    In der Nähe meines Betts konnte ich keine Kleidungsstücke entdecken. Die Kälte im Krankensaal war grimmig. (Pearce und ich hatten das manchmal den Krankenschwestern gegenüber beklagt und gesagt: »Wie sollen Eure Patienten gesund werden, wenn sie ihre ganze Körperenergie für das Zittern verbrauchen?« Doch es schien keine Möglichkeitzu geben, ihr Los zu verbessern.) Der Winter war schwer zu ertragen an einem solchen Ort.
    Am anderen Ende des Raums stand zwar ein großer Kamin, in dem auch ein paar Kohlen glühten, doch längst nicht genug, um eine wirkliche Flamme zu produzieren; es stiegen nur schwarze Rauchfahnen auf, die jedermann zum Husten und Würgen brachten. Ich zog die dünne Decke enger um mich, und langsam wie ein alter Mann beförderte ich meine Füße auf den Boden.
    Ich starrte auf diese Füße und die Beine, an denen sie hingen. Sie sahen nicht wie meine Füße und Beine aus, sondern wahrhaftig wie die eines Almosenempfängers, fast als hätte man mir, um meinen Einlass in St. Thomas zu erschleichen, die eigenen Gliedmaßen abgeschnitten und in einem grässlichen Austausch die unteren Extremitäten eines Landstreichers eingesetzt. Ich konnte auch sehen, dass mein rechtes Bein (oder das rechte Bein des Landstreichers) entsetzlich geschwollen war, und der Fuß hatte eine garstige Purpurfarbe, und als ich aufzustehen versuchte, schoss ein sehr tückischer Schmerz aus diesem Bein in meinen Schenkel.
    Daraus schloss ich, dass mein Knöchel entweder verstaucht oder gebrochen und nicht ordentlich behandelt worden war und dass das Gehen mir wochenlange Schmerzen bescheren würde. Und die Tatsache, dass diese Schmerzen vermutlich durch Fubbsys schwere Truhen verursacht worden waren, als sie mit all dem Zinn und Silber und Gold auf mein Bein fielen, machte mir mehr denn je begreiflich, dass die Reichen von

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