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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Kuh in duftendem Schatten auf einem Butterblumenhang.
    Dann legte ich den Brief weg. Ich wusste, welche Antwort ich Madame de Flamanville gern gegeben hätte, doch für den Augenblick war ich nicht in der Lage, irgendwelche Pläne oder Versprechungen zu machen. Ich war gefangen auf Bidnold. Und meine Gefangenschaft wurde mir nun unerträglich, denn ich sah mich gezwungen, Margaret und den König zu überwachen.
    Ich entwickelte, wenn wir zu dritt beisammen waren, der König, Margaret und ich – was sehr häufig geschah –, die elende Gewohnheit, von einem zur anderen zu blicken, immer hin und her, als sähe ich einem Tennisspiel zu. Als könnte ich durch diese Wachsamkeit jeden verliebten Blick zwischen ihnen einfangen, ihn wie einen Schmetterling im Netz erhaschen und ersticken.
    Was selbstverständlich eine törichte Vorstellung war: Die Wachsamkeit erstickte gar nichts. Solcherlei Blicke werden stets einen klugen Ausweg finden, am Rande des Gesichtsfelds. Und eines Abends, als wir Rommé spielten, rief der König aus: »Warum blickst du ständig auf unsere Gesichter und nicht auf unsere Karten, Merivel? Auf diese Weise wirst du nie merken, ob einer von uns den Joker oder das Pik-Ass hat, die du gern dem König oder der Dame hinzufügen würdest, welche du schon aufgenommen hast.«
    Ich entschuldigte mich. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Blatt, das keineswegs vielversprechend war, und ich prophezeite mir, dass ich erneut die geringste Punktzahl erlangen würde – zum dritten Mal an diesem Abend. Und ich wusste, dass ich diese Strafe verdiente, wenn nicht sogar eine schlimmere. Denn ich hatte begonnen, eine heftige Abneigung gegen mich in meiner Rolle als Spion und Inquisitor zu entwickeln. Ich verfluchte Violet. Ich schwor, dass ich meine jämmerliche Wache mit dem folgenden Tag beenden würde.
    Ich schien nicht fähig, sie zu beenden.
    Margaret hatte eine große Zuneigung zu Bunting gefasst, und gelegentlich begleitete sie im warmen Maiwetter den König und Bunting auf ihren Wanderungen im Park. Zu Anfang frohlockte ich, als ich sah, wie Margaret festen Schrittes durch die frische Luft spazierte, dem Hund die Stöckchen warf und manchmal aus schierer Freude darüber, dass sie wieder lebendig war, ausgelassen hüpfte. Ich hatte an meinem Bibliotheksfenster gestanden und sie beobachtet – diese beiden Personen, die mir das Liebste waren – und mich für den glücklichsten Menschen gehalten, weil ich sie hier wusste – lebendig und atmend, an meiner Seite.
    Doch wenn sie jetzt einen Spaziergang ankündigten, hörte ich mich unsinniges Zeug stammeln (was Pearce einst als »das sonderbar hohle Geschwätz, das du manchmal von dir gibst, Merivel«, bezeichnete), wie etwa: »Ach, ein Spaziergang! Eine großartige Idee! Auch ich benötige dringend ein wenig körperliche Betätigung. Ich werde euch begleiten.«
    Und so brachen wir dann zu viert auf – ich voller Scham über meine eigene Lächerlichkeit und sogar rot vor Verlegenheit. Und um es noch schlimmer zu machen, begann ich meist ein endloses Geplapper über das Wetter und die wilden Blumen und die Form der Wolken und ich weiß nicht was sonst noch für Themen, nur um sie daran zu hindern, miteinander zu plaudern. Oder ich fiel ein wenig hinter meine geliebten Gefährten zurück, in dem Versuch, an ihrer Haltung und der Häufigkeit, mit der sie einander die Köpfe zuwandten, zu ermessen, ob sich zwischen ihnen irgendeine Art von Vertraulichkeit anbahnte.
    Eines Morgens führte der Weg uns zum Bärengehege, und als wir in einer Reihe davorstanden und den armen Clarendon anschauten, der als regungsloser Trauerkloß unter einer struppigen Esche hockte, kroch Bunting doch tatsächlich unter den Zaun der Einfriedung durch und lief auf den Bären zu.
    Margaret schrie. Der König rief die Hündin energisch zurück, doch sie drehte sich bei dem Klang der königlichen Stimme nur kurz um und lief dann, angezogen vom Geruch des Tieres, weiter, wedelte mit ihrem flauschigen Schwanz und blieb nur wenige Schritte vor der Stelle, wo Clarendon saß, stehen.
    Clarendon blickte Bunting an. Während ich noch zu ergründen suchte, was dem Bären wohl durch den Kopf ging, hievte er seine massige Gestalt auf seine vier Pfoten und stieß ein zorniges Gebrüll aus.
    Dann bemerkte ich, dass der König über die schweren Pfosten des Zauns zu klettern versuchte, der mit Bedacht so konstruiert war, dass man gerade nicht darüberklettern konnte – weder Bär noch Mensch.

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