Adieu, Sir Merivel
ist,während eines ganzen langen Mahls in aufrechter Haltung stehen zu bleiben. Trotzdem strecke ich meine Hand aus und fordere ihn mit dieser Geste auf, selbst zu antworten.
Er verneigt sich sehr tief, so dass ich zum ersten Mal bemerke, dass seine Perücke oben beinahe kahl ist, was mich plötzlich sehr betrübt, zeigt es mir doch meine Knauserigkeit und meinen Mangel an Aufmerksamkeit für das Wohlergeben meiner Dienstboten.
»Von morgen an, Eure Majestät«, sagt Will und hebt seine arthritische rechte Hand zu einem fast militärischen Gruß, »werde ich meinen Posten antreten. Ich werde nicht von Eurer Majestät Stuhl weichen, außer, um ein wenig beiseitezutreten, wenn ich Eurer Majestät Teller von dem Lakaien entgegennehme, und um ihn dann wieder zurückzugeben.«
»Voilà« , sagt der König. »Eine vortreffliche Vereinbarung.«
Wir fallen beide über den Met her.
Ich weiß, dass der Abend lang werden wird. Ich bitte Will, uns aus der Küche etwas Kümmelkuchen und eine Schale mit Kirschen zu bringen.
Der König zeigt mir einen Brief seines Bruders, des Herzogs von York, in welchem jener ihn, obgleich auf nachsichtige, brüderliche Weise, für seine »allzu lange Vernachlässigung dringender staatlicher Pflichten« schilt und auffordert, ohne Verzug nach London zurückzukehren. Das Schreiben erwähnt ferner »tumultartige Petitionen für die Einsetzung eines Parlaments, welches, woran ich erinnern möchte, Eure Majestät nicht mehr zusammengerufen hat, seit es im Jahre 1681 in Oxford zu tagen versuchte«.
»Parlament!«, sagt der König. »Ich bin zu alt für Parlamente, Merivel. Sie mischen sich überall ein und wollen handeln und schlagen Rechtsmittel für Angelegenheiten vor, die perfekt ohne solche funktionieren und deshalb keine brauchen. Und sie lieben die Kriege zu sehr. Ich weiß, dass dieMenschen gern in Ruhe gelassen werden wollen. Sie wünschen keine unnützen Rechtsmittel, und sie wollen keine Kriege mehr. Sie wünschen sich, was ich mir wünsche: Essen in ihre Mägen, angenehme Nächte, ein kleines einträgliches Gewerbe, ein Schlückchen Met dann und wann, einige erbauliche Predigten, einen guten Tod. Ist es nicht so?«
»Ja«, antworte ich, »ich glaube, so ist es.«
Ich erwähne nicht, dass die Armut noch immer eine Geißel des ganzen Landes ist, denn ich weiß, dass der König der Überzeugung ist, Parlamente steckten voller ehrgeiziger Seelen, die nur nach dem eigenen Glück trachteten und sehr wenig gegen die Armut unternähmen, während er selbst so viel mehr tue, indem er all die vielen Menschen in seine Dienste nimmt, reichlich Almosen gibt und überhaupt sein Volk sehr liebt. Nach meinen Ritten über Land, um meine Patienten zu besuchen, scheint mir jedoch, dass die Anzahl der Armen in jüngster Zeit zugenommen hat, denn sie waren sichtbarer in den Dörfern und am Straßenrand, bettelten oder stahlen, und ich habe sagen hören, dass alle Arbeitshäuser in der Umgebung brechend voll sind. Und gewiss wird es nicht lange dauern, bis die Menschen dem König Vorhaltungen machen und verlangen, dass er Abhilfe schafft.
Ich werfe einen Blick auf den König, der, aus langer königlicher Gewohnheit, immer sehr gerade auf einem Stuhl sitzt, jetzt aber in einer Haltung großer Niedergeschlagenheit zusammengesunken ist. Ich will gerade vorschlagen, nicht mehr über Parlamente zu reden, als der König sagt: »Das Schuldgefühl, Merivel. Jetzt greift es nach mir. Selbst hier auf Bidnold liege ich nachts manchmal wach und denke an all meine Verfehlungen und all den begangenen Verrat, und dann glaube ich zu ersticken …«
»Kein menschliches Leben, Sire, ist frei von Verfehlungen.«
»Das mag sein. Aber wusstest du, mein Freund, dass ich neunzig Prozent der Gebühren aus dem Postwesen für Barbara Castlemaines Pensionszahlungen beschlagnahmt habe?«
»Nein, Sire, aber –«
»Ich tat es, um endlich Ruhe zu haben – damit sie nicht mehr an mir herumnörgelte. Aber andere Menschen haben deshalb leiden müssen. Sie haben verloren, was rechtmäßig ihnen zustand. Und ich habe noch hundert andere Dinge getan, die mich jetzt verfolgen.«
»Nur hundert? Ich wundere mich über die geringe Zahl. Pearce warf mir einmal vor, ich beginge hundert Torheiten pro Woche!«
Ein Lächeln huscht über des Königs Antlitz. Es ist ein vertrautes Lächeln, eines, das sagt: »Deshalb schätze ich dich, Merivel, ach was, ich liebe dich sogar, weil du leicht machst, was schwer wiegt, und Kummer in Lachen
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