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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Schneiden ungeheuer ist und nicht ohne eine große Menge Opium zu ertragen, außerdem würde ich eine Krankenschwester brauchen, die die Patientin festhält und beim Stillen des Blutes hilft.
    Wo die Nadel eingedrungen war, trat etwas Blut aus, und ich wünschte, ich hätte etwas von Louises Salbe für die Wunde dabei. Ich legte ein Stückchen Musselin darauf und ließ die Hand eine Weile dort, damit es nicht wegrutschte.
    »Nun, Doktor?«, fragte Violet. »Sterbe ich jetzt oder sterbe ich nicht?«
    »Ich werde den Tumor wegschneiden«, sagte ich. »Er ist nicht groß. An so einem kleinen Ding wirst du nicht sterben.«
    »Ach«, sagte Violet, »und dennoch habe ich das Gefühl, dass ich sterbe. Wie kann das sein?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wird der König sterben, Merivel? In der vergangenen Nacht sagte er zu mir, dass er sich manchmal unsterblich fühle.«
    »Der König wird sterben«, sagte ich. »Aber das möchte ich nicht erleben. Ich werde mich bemühen, vor ihm zu sterben.«
    Ich war immer noch sehr erregt, als ich nach Hause aufbrach. Der Gedanke, den Violet mir in den Kopf gesetzt hatte, dass nämlich der König meine Tochter verführen könnte,hatte mich ebenso tödlich verwundet wie irgendein Krebsgeschwür.
    Während ich gen Bidnold ritt, spürte ich, wie Übelkeit in meinem Magen aufwallte, und ich musste mein Pferd zügeln und absteigen und mein Frühstück am Wegrand erbrechen. Zitternd und angstvoll stand ich da. Das Bild meiner armen Frau Celia in der Dachstube mit ihrer Handarbeit und nur einem alten Weib als Gesellschaft kam mir in den Sinn und machte mich noch elender. Ich lehnte mich für einen Augenblick an mein Pferd, um seine Wärme zu spüren. Dann ritt ich weiter.

16
    Zwei Briefe erreichten mich um diese Zeit.
    Der erste war von meinem niederländischen Freund Hollers. Nachdem er all seine Vorräte aufgebraucht habe, schrieb er, auch die wenigen Gläser mit Erbsen, die ich nach meiner plötzlichen Abreise nach Paris übrig gelassen hatte, und er, aus Mangel an Geld, keine andere Möglichkeit gesehen habe als nach Holland zurückzukehren, da endlich sei ihm seine Uhr zurückgesandt worden.
    Mit ein paar Zeilen in Madame de Maintenons kultivierter Handschrift sei ihm mitgeteilt worden, dass seine Uhr »nicht dienlich ist, Monsieur Hollers, weil sie um mehr als eine Minute pro Tag der Zeit voraus ist, die die Kapellenuhr anzeigt. Insofern stiehlt sie Gott Zeit in einem Umfang von acht oder neun Minuten pro Woche; und Gott hat viel Arbeit zu erledigen, er lässt sich nicht gern auch nur eine Minute davon entwenden.«
    So hat nun leider, schrieb Hollers,
    all mein Bemühen in Versailles zu nichts geführt. All die Zeit (dieses launische Gut), die Du und ich mit dem Ausmalen meiner Zukunft verbrachten, war vergeblich und vergeudet. Ich bin wieder in meinem eigenen Geschäft in meiner eigenen Stadt, und wenn ich mich hier umblicke, sehe ich mit einem Mal, dass dieses Geschäft ein armseliger Ort ist, und all meine mit so viel Liebe und Sorgfalt hergestellten Zeitmesser machen mich nicht im Geringsten stolz und froh. Ich lege nicht einmal mehr Wert darauf, sie abzustauben. Ich werde niemals berühmt sein, Merivel! Meine Aussichten auf Ruhm sind dahin. Ich werde hier, auf der trübseligen Seite des Kanals, vermodern. Ach, sag mir doch, mein Freund, was soll ich tun! Es kostet mich große Mühe, mein Leben überhaupt noch auf irgendeine Weise fortzusetzen.
    Hollers’ trauriger Bericht machte mich melancholisch. Obgleich ich wusste, dass das Leben in Amsterdam keinesfalls noch unerträglicher sein konnte als unser Dasein in der schrecklichen Unterkunft in Versailles, konnte ich mir dennoch vorstellen, wie der Uhrmacher vor Kummer und Enttäuschung mit den Zähnen knirschte.
    Als ich dem König die Geschichte meines Freundes weitererzählte, sagte er: »Oh, man hat mir oft erzählt, Madame de Maintenon sei eine Pedantin. Und sie ist nicht einmal eine schöne Pedantin. Wie misslich für meinen Cousin Louis.«
    In diesem Augenblick begann Bunting, mit viel Gekläff ihren Spaziergang anzumahnen, weshalb der König, stets ein ergebener Diener ihrer Forderungen, sich erhob und hinausging; zur Sache Hollers wurde nichts mehr gesagt. Und dies erschien mir ein trauriges Versäumnis des Königs – dass er nämlich dem Unglück meines Freundes ganz offenkundig keine Beachtung schenkte.
    Und doch weiß ich nicht, weshalb es mich überraschen sollte. Der König ist der König und kann sich nicht der Bürden

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