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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Lakai kam mit einemBrief herein, den er neben mir auf den Tisch legte, und als ich den Poststempel »Helvetica« sah, machte mein Herz einen Sprung: Der Brief war von Louise! Nun konnte ich nicht anders als auf den Brief zu starren, ich brannte vor Begier, seinen Inhalt zu lesen.
    Ambrose war verstummt. Nun erhob er sich und sagte: »Ich sehe, ich bin zur unrechten Zeit gekommen, Robert. Boten und Briefe benötigen deine ganze Aufmerksamkeit. Lass mich dich nicht länger aufhalten.«
    »Nein, nein!«, widersprach ich. »Das Geschäft kann warten. Das sind nur Nichtigkeiten, anders als dein lieber Besuch. Du sagtest doch, du würdest mir gern etwas in deinem Wagen zeigen. Wie wäre es, wenn wir jetzt hinausgingen und die Dinge anschauten?«
    Ich steckte Louises Brief, der schon eine Art Wärme auszustrahlen schien, in meine Rocktasche und folgte Ambrose hinaus in die Einfahrt.
    Er schlug die Segeltuchbahnen seines Wagens zurück, und was sich dann meinen Augen bot, waren, wie kleine Bäume dicht an dicht nebeneinander aufgestellt – lauter Taubenschläge, alle in unterschiedlichen Farben bemalt und mit unterschiedlichen Dächern und Nisthöhlen versehen.
    »Potzblitz, Ambrose!«, rief ich. »Wie bist du an so viele Taubenschläge gekommen?«
    Ambrose griff in den Karren, holte einen heraus und setzte ihn auf den Kies. Er war weiß bemalt und, wie ich gestehen musste, ein Gegenstand von einiger Schönheit. Er erinnerte mich sofort an die weißen Tauben, die sich immer noch auf dem Dach meines geschätzten Westturms niederließen.
    Ambrose fuhr mit der Hand sacht über das Dach, das aus Reet bestand. »Ich habe sie gemacht«, sagte er. »Mit meinem letzten Heller, als ich in Ely bei meinem Bruder wohnte. Ich kaufte billiges Holz und fertigte kleine Gegenstände daraus: Schalen und Schöpfkellen und einfache Kisten, und ich verkaufte sie auf dem Markt.
    Und die Leute erklärten, meine Sachen seien hübsch. Und da begann ich, andere Dinge zu entwerfen, aber was ich vor allem bauen wollte, waren diese Häuschen hier; warum, kann ich nicht sagen.«
    »Du wolltest sie machen, weil sie wunderschön sind.«
    »Ja, sie sind schön. Und sie haben mich gerettet. Ich lebe davon. Ich versuche nicht mehr, Seelen für Gott zu gewinnen. Ich schaffe Zufluchtsorte für Vögel. Wahrscheinlich ist das nichts besonders Großartiges.«

21
    Ich kaufte drei Taubenschläge von Ambrose. Den weißen behielt ich für mich selbst. Die anderen beiden waren in einem zarten Graugrün gestrichen, und ich beabsichtigte, sie zu gegebener Zeit zu verschenken – an Violet Bathurst und an den König.
    Bevor Ambrose aufbrach, bat ich ihn, mir zu berichten, was aus Eleanor, Hannah und Daniel geworden war.
    »Ach«, sagte Ambrose. »Sie waren mit dem Herzen so tief unserer Arbeit in Whittlesea verbunden. Du erinnerst dich sicher, wie sehr sie sich diesem Werk widmeten. Als es dann scheiterte, fanden sie nichts anderes, und es vergingen keine zehn Jahre, da waren beide, Daniel und Hannah, von uns gegangen.«
    »Sie sind gestorben? Und waren noch so jung?«
    »Ja, leider.«
    »An was sind sie gestorben, Ambrose?«
    »An nichts Besonderem. Nichts, wovon ich wüsste. Sie fanden, obgleich sie fromme Quäker waren, einfach nicht die Kraft zum Weiterleben, denn es war ihnen der Grund für ihr leidenschaftliches Bemühen genommen worden.«
    »Ach ja. Es ist schrecklich, wenn man feststellt, dass das Leben keinen Sinn mehr hat! Wie sehr fürchte ich diesen Zustand. Und Eleanor?«
    »Sie fand einen guten Ehemann – einen Quäker-Bauern. Und sie leben von der Erde und haben ein hübsches Kind großgezogen. Das ist alles, was ich weiß.«
    »Das freut mich für sie. Sie war gewiss eine gute Mutter. Für mich war sie häufig genug eine liebevolle ›Mutter‹!«
    Dazu sagte Ambrose nichts, er drehte sich um und begannwieder, in seinem Wagen zu kramen. Dann legte er mir eine lederne Tasche in die Hände, die ich sofort erkannte.
    Sie hatte Pearce gehört. Sie war sogar ein Geschenk von mir an ihn gewesen, vor langer Zeit, als wir beide noch in Cambridge Medizin studierten und er ein armer »Sizar« war (er musste die Master und Fellows bedienen und brauchte dafür weniger Studiengebühren zu bezahlen), ohne eine Familie mit Geld und ohne etwas, worin er seine Bücher und Papiere tragen konnte. Ich weiß noch, dass er sich die Tasche immer um den Hals hängte, als wäre sie ein Futtersack für Pferde und all die gelehrten Dinge darin nichts weiter als Heu. Und dieser

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