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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Anblick von Pearce, mit der umgehängten Tasche, pflegte mich sehr zu erheitern.
    »Als wir Whittlesea verließen«, sagte Ambrose, »fand ich die hier tief unten in einem alten Schrank in dem Zimmer, wo einst Pearce wohnte. Seine Kleidung hatten wir, so wie sie war, unseren Schutzbefohlenen gegeben, aber die Tasche war übriggeblieben. Im Innenfach steckt ein Buch von Hieronymus Fabricius –«
    »Ach, der große Fabricius!«
    »Ja, aber ein seltsames Werk: De brutorum loquela , erschienen in Padua. Vielleicht kennst du es.«
    »Ich habe davon gehört. Das Thema ist interessant. Aristoteles schreibt in seiner Politika, der Mensch sei das einzige Tier, das die Gabe der Sprache besitzt, aber das lässt sich durchaus anzweifeln, und ich glaube, Fabricius stellt seine Behauptung hier in Frage.«
    »Mein Latein ist nicht so gut, dass ich es lesen könnte. Ich sagte zu Eleanor und Hannah: ›Robert sollte das Buch bekommen. Das hätte John so gewollt.‹«
    »Da bin ich nicht sicher, Ambrose«, sagte ich. »Du wirst doch nicht vergessen haben, dass alles, was John mir schenkte, als er wusste, dass er diese Welt sehr bald verlassen würde, seine Suppenkelle war.«
    »Die du ihm ins Grab gelegt hast …«
    »So ist es.«
    »Dann hast du jetzt also eine Abhandlung über die Sprache der Tiere. Und die Ledertasche ist zwar alt, aber sie trägt den Stempel von Austell in Cambridge, weshalb sie gewiss von bester Qualität ist.«
    »Das weiß ich. Ich habe sie ja selbst für John gekauft.«
    »Ach. Nun, dann kehrt sie jetzt zu dir zurück. Großzügigkeit bewegt sich manchmal im Kreis.«
    Ambrose machte sich wieder auf den Weg. Und ich blieb mit einem Gefühl des Bedauerns zurück, weil ich mich nicht gastfreundlicher gezeigt und seinen Besuch mehr gewürdigt hatte. Und obgleich ich die Taubenschläge gut bezahlt hatte, wusste ich, dass auch er enttäuscht war. Als er wegfuhr, warf er mir einen letzten sehr ernsten Blick zu. Sein Pferd hatte weder Futter noch Wasser bekommen.
    Louises Brief, den zu lesen ich so begierig gewesen war, dass ich meine Zeit mit Ambrose sehr unhöflich abgekürzt hatte, liegt auf dem Boden. Mein Mittagsmahl aus gekochter Zunge und Karotten steht auf einem Tablett und wird kalt.
    Ich schließe die Augen. Ich sehne mich nach Vergessen. Doch bestimmte Sätze aus dem Brief wollen mir nicht aus dem Kopf: »Aus Eurem Schweigen kann ich nur schließen, dass das, was zwischen uns geschah, für Euch keine wirklichen Konsequenzen hatte.« »Ich halte es deshalb für das Beste, unsere flüchtige Liebschaft der Geschichte zu überantworten.« »Auch wenn ich vorschlug, Ihr könntet mich hier in der Schweiz besuchen, sehe ich nun, dass ich diese Einladung sehr überstürzt aussprach, weshalb ich sie zurückziehen muss.«
    Jetzt liege ich im Bett und trinke schlückchenweise Laudanum. Mein einziger Trost.
    Ich mache mir bittere Vorwürfe, dass ich nicht auf Louises Brief antwortete, doch gefangengenommen von Margarets Krankheit und dann auch vom Besuch des Königs in meinem Haus, war ich wahrhaftig nicht in der Lage, zu Louise zu reisen – nicht einmal im Geiste. Törichterweise hatte ich angenommen, sie würde es irgendwie aus der Ferne verstehen und sich so lange gedulden, bis ich sie besuchen konnte. Doch ich hatte mich geirrt. Sie hatte es nicht verstanden. Wie sollte sie auch? Sie hatte nichts von dem gewusst, was hier geschah. Und folglich hatte sie, verletzt durch mein Schweigen, beschlossen, mich fallen zu lassen.
    Als er hört, dass ich nichts zu Mittag gegessen habe, kommt Will zu mir ins Zimmer und blickt vorwurfsvoll auf das Glas mit Laudanum.
    »Es wird Euch wieder übel werden, Sir Robert«, sagt er.
    »Das kümmert mich nicht«, erwidere ich. »Tatsächlich kümmert mich nichts mehr auf dieser Erde. Es wird wirklich Zeit, dass ich sie verlasse.«
    Will macht sich an meiner Bettdecke zu schaffen, versucht sie glatt zu streichen. »Ich erinnere mich, dass Ihr schon vor langer Zeit irgendetwas Närrisches übers Sterben sagtet«, erklärt er, »aber damals wart Ihr im Speisezimmer, und ich sagte zu Euch: ›Sterbt nicht hier, Sir. Das ziemt sich nicht. Wenn Ihr entschlossen seid zu sterben, begebt euch bitte woanders hin.‹«
    »Jetzt bin ich nicht im Speisezimmer, Will. Ich liege im Bett. Das ist ein Platz so gut wie jeder andere.«
    »Nun denn, wenn Ihr unbedingt müsst, Sir«, sagt der dreiste Will, geht aus dem Zimmer und überlässt mich meinem Schicksal, ohne dass er versucht hätte, es mir

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