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Adieu, Sir Merivel

Adieu, Sir Merivel

Titel: Adieu, Sir Merivel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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war im Zimmer, hatte sich aber zu einem der Fensterplätze zurückgezogen, als wüsste sie, dass eine Katastrophe ihre Herrin heimgesucht hatte. Mrs. McKinley stellte sich etwas weiter weg ans Fußende des Bettes. Violet blickte mich inbrünstig an, als betete sie, und sagte mit schwacher, angestrengter Stimme: »Merivel, nun ist alles Trauer.«
    Ich nahm ihre Hand in meine und streichelte sie. Einen Moment lang fand ich keine Worte des Trostes. Nach einer Weile aber sagte ich: »Wo ist der Schmerz?«
    »Vollständig«, sagte Violet.
    »Du meinst, dass er überall ist?«
    »Ja.«
    Mrs. McKinsey begann meine Instrumententasche auszupacken. Sie holte die kleinen Glasbecher heraus, die ich zum Schröpfen benutze – indem ich die Haut mit ihrem erhitzten Rand verbrenne, so dass sich Blasen bilden, durch die manchmal viel Gift austritt. Dieses Schröpfen vollführe ich jedoch nicht gern, da es dem Patienten noch mehr Schmerzen bereitet, aber ich habe auch seine wohltuenden Eigenschaften kennengelernt: Es entleert nicht nur, es lenkt auch ab: Während die glühende Hitze schmerzt, werden andere Symptome vielleicht überdeckt.
    »Wir werden schröpfen«, sagte ich zu Violet und bedeutete Mrs. McKinley, sie möge eine Flamme zum Erhitzen der Gläser entzünden.
    Während sie das tat, brachte ich Violet dazu, dass sie mich ihre Brustwunde untersuchen ließ. Ich wickelte die Binden ab und sah, dass sie gut heilte, ohne ein Anzeichen neuer Tumore. Doch da bemerkte ich, dass Violets Bauch merkwürdig geschwollen und voller Geschwulste war, und als ich die Hand darauflegte, schrie sie vor Schmerzen.
    Ich streichelte ihr die Haare. Ihr ausgemergeltes Gesicht bekümmerte mich so sehr, dass ich am liebsten einen Schleier oder ein Stück Gaze darübergelegt hätte, damit ihre Schädelknochen für mich nicht so deutlich zu erkennen waren. Ich ertappte mich bei dem Wunsch, Violet Bathurst wäre in der Nacht gestorben, als der König ihr Bett teilte. Das wäre, so dachte ich, ein passendes Ende für sie gewesen: ein Übermaß an Wollust, das ihr Herz zum Stillstand bringt – und nicht dieses langsame Verfaulen des Fleisches.
    Als die Schröpfköpfe bereit waren, drehte ich Violet sanft um und band ihr Nachtkleid auf. Ihr Rücken lag nun bleich und mager vor mir, jeder einzelne Knöchel der Wirbelsäule drückte sich durch die Haut, als wollte er sich vom Körper lösen.
    Ich legte ihr meine Hand weich in den Nacken, um sie still zu halten, während Mrs. McKinley die Schröpfköpfe setzte. Als diese mit ihrer grässlichen Blasenproduktion begannen, streckte Violet die Hand aus und umfasste mein Knie.
    Sie begann von ihrer alten Leidenschaft für mich zu brabbeln. Mein Gesicht wurde heiß vor Verlegenheit, als sie mich an unsere unzüchtigen Kopulationen auf der Treppe erinnerte und daran, wie ihr zu jener Zeit niemand außer mir die Befriedigung hatte schenken können, nach der es sie verlangte.
    Ich wagte Mrs. McKinley nicht anzusehen, sondern blickte nur aus den Augenwinkeln auf ihre geschickten Hände, die mit der Arbeit fortfuhren. Und sie sagte kein einziges Wort.
    »Es gehört zu den Aufgaben einer Krankenschwester«, hatte Mrs. McKinley einmal zu mir gesagt, »dass sie hin und wieder taub sein muss.«
    Violet erinnerte mich dann an weitere wilde Dinge, die wir miteinander getrieben hatten, und schließlich sagte sie: »Da war aber auch Zuneigung, Merivel. Eine sehr tiefe sogar. Ich werde es nicht Liebe nennen, doch es war beinahe Liebe. Und wie viele Menschen kann man denn wahrhaftig lieben auf der Welt? Die, welche wir hassen oder verachten, übertreffen an Zahl die, welche wir anbeten. Unsere Seelen ähneln einander, deine und meine: immer hungrig, immer verletzlich. Es ist schon wundersam, dass wir beide so lange durchgehalten haben. Ich gebe mich zufrieden damit.«
    »Dies ist nicht das Ende, Violet«, sagte ich zu ihr. »Wir werden noch manche Partie Federball spielen … im Herbst …«
    »Nein«, sagte sie. »Das werden wir nicht, Merivel. Ein Federball ist leicht, und ich bin schwer. Ich falle zur Erde.«
    Nach dem Schröpfen gaben wir ihr das Opium, sehr stark und unverdünnt, legten sie, so gut wir vermochten, zur Ruhe und wachten an ihrem Bett. Sie schlief sehr bald ein.
    Mrs. McKinley holte ihr Strickzeug heraus, und während der Tag allmählich zum Abend wurde, war das Klappern ihrer Nadeln das einzige Geräusch.
    »Und was strickst du?«, fragte ich sie.
    »Nur ein Viereck, Sir Rabbit«, sagte sie leise. »Seht

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