Admiral Bolithos Erbe
Kapitän Emes Sie enttäuscht, Sir…«
»Dann expediere ich ihn mit dem nächsten Schiff vors Kriegsgericht. Wie ich schon zu Kapitän Herrick sagte, brauche ich dringend jeden guten Offizier, aber ich schicke
Phalarop
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lieber unter dem Kommando eines Kadetten gegen den Feind, als noch mehr Menschenleben zu opfern, weil ich den guten Onkel spielen will!«
Browne nickte zufrieden und trollte sich.
Als er blinzelnd ins Sonnenlicht trat, fiel Herrick über ihn her: »Und womit vertreiben
S
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sich die Zeit, Mr. Browne?«
»Ich war beim Admiral, Sir. Er hat mir seine Einschätzung der Lage dargelegt, Punkt für Punkt, wie ein Maler ein Bild komponiert.«
»Hm.« Herrick wandte sich der alten Fregatte zu, die jetzt mit backstehenden Segeln in den Wind drehte, um ein Boot auszusetzen. »Hoffen wir, daß niemand den Rahmen zerbricht, ehe das Bild fertig ist«, fügte er trocken hinzu, und als er Brownes überraschtes Gesicht gewahrte: »O ja, Mr. Browne mit e, auch andere Leute haben Grips im Kopf, müssen Sie wissen.«
Browne verkniff sich ein Grinsen und ging nach Lee hinüber, als Major Clinton, dessen Gesicht fast so rot war wie sein Uniformrock, auf Herrick zumarschiert kam und fragte: »Ehrenwache, Sir?«
»Ja. Lassen Sie sie an der Pforte antreten, immerhin i st er Kapitän.« Er wandte sich ab und murmelte wie zu sich selbst: »Jedenfalls noch.«
Der Midshipman der Wache rief: »Boot hat abgelegt, Sir!« Browne hastete in die Poop und fand Bolitho an den Kajütfenstern stehen, als hätte er sich die ganze Zeit nicht bewegt.
»Die Gig der
Phalarop
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legt gleich an, Sir.« Er sah, daß Bolithos auf dem Rücken verschränkte Hände sich verkrampften. Leise setzte er hinzu: »Kapitän Emes wird von Ihrem Neffen begleitet, Sir.«
Er hatte irgendeine Reaktion erwartet, aber Bolitho antwortete scheinbar zusammenhanglos: »Für mich waren Stabsoffiziere früher so etwas wie halbe Götter. Sie schufen Sachlagen und trafen Entscheidungen, während wir als Wesen niedrigerer Ordnung lediglich zu gehorchen hatten. Aber jetzt weiß ich es besser. Vi elleicht hatte Vizeadmiral Studdart doch recht.«
»Sir?«
»Ach, nichts. Ozzard soll meinen Rock bringen. Wenn ich mich schon mit mir selbst im Widerstreit befinde, wird es Emes bestimmt noch sehr viel schlimmer ergangen sein. Also wollen wir es hinter uns bringen, ja?«
Das Schrillen der Pfeifen, das Stampfen der Ehrenwache an der Schanzkleidpforte drang in die Kajüte.
Als Ozzard ihm in den schweren Galarock half, fiel Bolitho plötzlich wieder das erste Schiff ein, das er befehligt hatte: wie klein, eng und intim war dort alles an Bord! Aber schon damals war er der Meinung gewesen – und daran hatte sich nichts geändert –, daß es die kostbarste Gabe war, die einem Menschen jemals zuteil werden konnte, wenn er ein Schiff anvertraut bekam.
Aber jetzt wurden die Schiffe von anderen befehligt, und er mußte sie alle führen und über ihr Geschick bestimmen. Was auch geschehen mochte, er wollte niemals vergessen, was sein erstes Schiff für ihn bedeutet hatte.
Browne meldete: »Kapitän Emes von der
Phalarope
,
Sir.« Bolitho trat hinter seinen Schreibtisch. »Ich brauche Sie nicht mehr, Oliver.«
Hätte Bolitho Kapitän Emes an Land oder in anderer Umgebung wiedergesehen, er hätte ihn wahrscheinlich nicht erkannt. Emes hielt sich immer noch sehr gerade, als er jetzt vor dem Tisch stand, den Hut unter den Arm geklemmt, eine Hand fest – zu fest – um den Säbelgriff gekrampft. Aber trotz der langen Wochen vor Belle Ile, bei schönstem Wetter, war Emes leichenblaß. In dem vom Wasser reflektierten Sonnenlicht leuchtete seine Haut wächsern. Er zählte erst 29 Jahre, sah aber um zehn Jahre älter aus.
»Nehmen Sie Platz, Kapitän Emes«, begann Bolitho. »Dies ist ein informelles Gespräch, ich muß Sie aber darüber informieren, daß Sie im günstigsten Falle eine Untersuchung zu erwarten haben, im schlimmsten Falle…« Er hob die Schultern. »Jedenfalls würde ich dann eher als Zeuge auszusagen haben denn als Ihr Vorgesetzter oder als Beisitzer.«
Emes ließ sich vorsichtig auf die Stuhlkante nieder. »Jawohl, Sir. Ich verstehe.«
»Das möchte ich bezweifeln. Aber bevor ich etwas unternehme, muß ich Ihre eigene Version der Ereignisse am Morgen des 21. Juli erfahren, als
Sty
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unterging.«
Emes gab seine Erklärung langsam und überlegt ab, als hätte er für diesen Augenblick schon oft geprobt. »Ich fand mich mit meinem Schiff in der günstigen Lage,
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