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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Übung, obwohl ich Bedenken hatte.«
    Nicht er hatte von einer gesunden Übung gesprochen, sondern sie; allerdings ließ er sich dieses Wort gern in den Mund legen.
    »Nicht doch.«
    »Tja.«
    Er stand auf. »Ehrlich gesagt…« Er wurde leicht rot. »Ich komme mir vor wie ein Teenager, wenn ich… wenn du bei mir bist und wir so reden.«
    »Tut mir leid.«
    »Nein, dafür kannst du nichts. Es wäre mir ein Vergnügen, wenn du bei mir bleiben würdest heut’ nacht.«
    Sie lächelte und legte dann die Stirn in Falten. »Gern, ich bleibe gern«, sagte sie. »Aber ich mache mir Sorgen wegen Patricia.«
    »Ja?«
    »Sie ist jetzt die einzige von uns, die allein schläft.«

 
48. Kapitel
     
    Schritt für Schritt folgte Patricia dem Verlauf der Kurve durch fünf Dimensionen und sah sie sich entfalten wie eine Wendeltreppe in einem Alptraum. Ihre Augen waren so fest geschlossen, daß sie schmerzten, und ihr Gesicht war verzerrt zu einer ekstatischen und zugleich kummervollen Fratze. Noch nie hatte sie so intensiv gedacht und war so tief in innere Berechnungen versunken. Es machte ihr Angst. Selbst als sie die Augen aufschlug und zur dämmrigen blauen Decke blickte und zur Seite rollte und in die Leere außerhalb des Bettes griff…
    Selbst dann beschrieben ihre Finger einen Abschnitt der Kurve, der in den Raum projizierten lebendigen Schlange. Sie ballte die Hand zur Faust und sah kleine Lichter, die der vom Finger beschriebenen Bewegung folgten. Patricia schlug die Augen wieder zu.
    Und schlief auf der Stelle ein und träumte von der Kurve. Es war ein Halbschlaf, und sie beobachtete dabei von ferner Warte, wie ihr Verstand auf Sparflamme weiterarbeitete, was sie nicht abstellen konnte.
    Nur wenige Stunden später wurde sie plötzlich hellwach; sie mußte jenen grundlegenden Artikel von ihr – den noch ungeschriebenen, der ihr in der Bibliothek der dritten Kammer in die Finger gekommen war – einsehen. Mit banger Sorge – der Datenservice hatte bei den vier Gelegenheiten, wo sie sich seiner bediente, das Gewünschte nicht immer geliefert – stieg sie aus dem ovalen Bett, schlüpfte ihn den blaßlila Morgenmantel, knotete den Gürtel zu und ging ins spärlich beleuchtete Wohnzimmer.
    »Daten, City Memory«, sagte sie. Eine Himmelskugel erschien vor ihr, deren Kreise rot und gold leuchteten. Zwei Ringe, wovon einer über den anderen gesetzt und von doppeltem Durchmesser war, folgten als Ersatzsymbol für das veraltete Fragezeichen.
    »Zugang zu Artikel von Patricia Luisa Vasquez… Herrgott, ich hab’ den genauen Titel und das Datum vergessen. Sind nähere Angaben nötig?«
    Komplizierte Pikts flimmerten, bis Patricia auf verbale Kommunikation umstellte. »Möchten Sie ein vollständiges Werkverzeichnis von Patricia Luisa Vasquez?« fragte die Datenservicestimme.
    »Ja«, sagte sie und schauderte wieder, so unheimlich war das alles.
    Eine Aufzählung in lateinischer Schrift erschien vor ihr wie auf einem großen weißen Papierbogen. Ungefähr in der Mitte der Liste hieß es: Theorie n-räumlicher Geodäsie, bezogen auf die Newtonsche Physik mit besonderer Berücksichtigung der Rho-Simplon-Weltlinien.
    »Das ist es«, sagte sie. »Vorlegen.«
    Sie las den Aufsatz aufmerksam, wobei sie mit den Fingern auf die Lehne trommelte. »Genial«, sagte sie bitter, »aber falsch.« Es wäre vielleicht ein richtungsweisender Artikel, aber ein – wie sie nun einsah – insgesamt früher und primitiver Text. »Bitte noch einmal die Liste.«
    Die Liste wurde gezeigt, und Patricia wählte einen späteren Titel, den sie zu sehen wünschte.
    Das altvertraute Morgensternsymbol erschien. »Verboten«, kommentierte die Stimme.
    Mit wachsendem Unmut wählte sie einen anderen Text. »Verboten.«
    Und einen nächsten gegen Ende der Liste, den sie mit ungefähr sechsundachtzig geschrieben hatte – schreiben würde. »Verboten.«
    »Warum sind meine Arbeiten verboten?« fragte sie ärgerlich.
    Der Morgenstern war die einzige Antwort.
    »Warum wird dieser Datenservice zensiert?« Mit einemmal hatte sie das schaurige Gefühl, daß sie nicht mehr allein war im Zimmer. »Olmy? Licht an!« Es wurde hell. Keine Antwort.
    Sie stand auf und sah sich langsam um; ihr ganzer Rücken verspannte sich.
    Dann sah sie den Eindringling, der unter der Decke schwebte: ein graues, fußballähnliches Etwas mit einem Gesicht mittendrin. Im ersten Moment erwiderte sie einfach das Starren des Gesichts. Es schien männlich zu sein, hatte kleine, dunkle Schlitzaugen

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