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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Mirski an, zog eine Grimasse, sagte aber weiter nichts mehr.
    Vier Stunden später – nun im eigenen Bunker – schritt der Übungsleiter den Gang zwischen den Kojen der siegreichen Mannschaft ab und gratulierte ihnen mit einem herzlichen Händedruck, wobei er Heimatpost verteilte. Alle Männer bekamen Post, und wenn nur von der Parteizelle ihres abgelegenen Dorfes. Ganz zuletzt blieb der Übungsleiter vor Mirskis Koje stehen.
    »Nur ein Brief für Sie, Genosse Oberst…«, sagte er und reichte Mirski ein dickes, sorgfältig geschlossenes, mit Klebeband verstärktes Kuvert. Mirski nahm das Kuvert, warf einen Blick darauf und sah den Übungsleiter an.
    »Öffnen Sie’s!«
    Er riß es sorgfältig an der Seite auf und zog fünf gefaltete Bögen heraus. »Eine Beförderung«, stellte er fest, wollte deshalb aber nicht sentimental werden.
    »Und Ihre Befehle, Genosse«, sagte der Übungsleiter. »Meine Herren, interessiert es uns, wohin unser neuer Oberst Pavel Mirski geht?«
    »Wohin?« fragten mehrere.
    »Heim auf die Erde«, sagte Mirski.
    »Heim auf die Erde!« wiederholte der Übungsleiter. »Das ist Ihr – wievielter? – vierter Trainingsaufenthalt auf dem Mond in zwei Jahren? Und jetzt geht’s wieder heim auf die Erde.«
    Die Männer beobachteten ihn gespannt, grinsten.
    »Zum Indischen Ozean«, sagte Mirski. »Zum letzten Training als Bataillonskommandeur.«
    »Zum Indischen Ozean!« rief der Übungsleiter, deutete mit dem Zeigefinger auf den Boden – und damit symbolisch zur Erde – und streckte dann die Arme hoch, wobei er zur Decke blickte und nickte.
    Die Männer brachen in Jubel und Applaus aus.
    »Jetzt liegen die Sterne, nach denen Sie sich immer sehnten, zum Greifen nah, Oberst«, sagte der Übungsleiter und schüttelte ihm kräftig die Hand.

 
4. Kapitel
     
    Der Rest der vierten Kammer flog als verschwommene Hügellandschaft mit kleinen Seen und granitartigen Felsen am Zugfenster vorüber.
    »Endstation dieser Linie ist in der sechsten Kammer. Im Bahnhof erwarten uns Joseph Rimskaya und ein Teil des chinesischen Teams.«
    »Rimskaya? Ich hatte einen Professor mit diesem Namen an der UCLA.« [vii]
    »Rimskaya ist der Grund für dein Hiersein. Er hat dich empfohlen.«
    »Aber er hat von der Uni ans Mathematisch-Statistische Staatsinstitut gewechselt.«
    »Und während seiner Arbeit in Washington die Präsidentenberaterin kennengelernt«, fügte Lanier hinzu.
    Rimskaya hatte sie als Professor in einem Seminar über ein mathematisches Sondergebiet gehabt. Sie hatte ihn nicht besonders gemocht; er war ein hochgeschossener, schlaksiger Mann mit einem krausen, roten Vollbart, laut und dogmatisch, ein Politologie-Professor und Statistik- und Informatik-Experte. Als peinlich genauer Mathematiker, dem ihrer Meinung nach die nötige Einsicht fehlte für wirklich wertvolle Grundlagenforschung, verkörperte er in ihren Augen den Inbegriff des Akademikers: rigoros und fordernd als Lehrmeister, ließ er jedoch Phantasie vermissen.
    »Wieso ist der hier?«
    »Weil die Präsidentenberaterin ihn für nützlich erachtet.«
    »Seine Spezialität ist statistisch wahrscheinliches Bevölkerungsverhalten. Er gehört in die Soziologie.«
    »Stimmt«, sagte Lanier.
    »Aber…«
    Lanier wirkte gereizt. »Überleg mal, Patricia! Wohin sind die Steinbewohner gegangen? Warum sind sie weg und wie sind sie hingekommen?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete sie kleinlaut.
    »Wir wissen’s auch nicht. Noch nicht. Rimskaya leitet die Soziologengruppe. Die können uns vielleicht darüber Auskunft geben.«
    »Was ist das nur für eine perverse Art der Einführung«, beschwerte sie sich.
    »Ich hab’ Geduld, wenn du Geduld zeigst«, erwiderte Lanier.
    Patricia schwieg für einen Moment. »Ich garantiere nichts«, sagte sie dann. »Hör mal, du brauchst nicht gleich eingeschnappt zu sein, bloß weil ich einfache, direkte Fragen stelle.«
    Lanier zog die Brauen hoch und nickte. »Nimm’s nicht persönlich.«
    Er steht also unter Druck, dachte sie. Tja, ich auch. Nur hatte er Zeit, sich daran zu gewöhnen. Falls man sich an so etwas wie die Bibliothek – oder den Stein – überhaupt gewöhnen kann. Andererseits gibt’s sicher mehr…
    Sie hatte plötzlich eine Vision von einem Labyrinth von Schreibtafeln, das sie in der siebten Kammer erwartete, angefüllt mit umherwandernden Mathematikern, die an einem großen Generalproblem arbeiteten. Über allen wachte geduldig auf einem riesigen Monitor die Präsidentenberaterin wie Gott.

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