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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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einheitlich homogen und freundlich. Die Plasmaröhre selbst trat in der Mitte der Kappe als strahlender Lichtschweif aus.
    Patricia spürte, daß sich alle im Wagen gespannt zu ihr wandten. Sie warteten auf ihre Reaktion.
    Reaktion worauf? Diese Kammer war bestenfalls ein klein wenig aufregender als die erste. Patricias Schultern verspannten sich. Was sollte sie nur sagen?
    Lanier griff zwischen den Sitzlehnen hindurch und tippte sie auf den Arm. »Was siehst du?« fragte er.
    »Sand, Gras, Seen, Bäume. Einen Fluß und Wolken.«
    »Guck geradeaus!«
    Sie guckte. Die Luft war klar. Die Sicht betrug mindestens dreißig Kilometer. Die Nordkappe schien verdeckt zu sein, zeigte sich jedenfalls längst nicht so deutlich wie die grauen Mauern in den andern Kammern. Patricia schaute hinauf und kniff die Augen zusammen, um das Ende der Plasmaröhre auszumachen.
    Da war kein Ende. Die Röhre ging weiter, war bestimmt länger als dreißig Kilometer, wurde immer schwächer und dünner und schien schließlich fast mit dem Horizont zu verschmelzen.
    Natürlich lag in einer nicht gekrümmten Fläche – wie es die Zylinder parallel zur Achse waren – der Horizont viel höher. Bei unbegrenzter Entfernung würde der Horizont in einem echten Fluchtpunkt der Perspektive beginnen…
    »Diese Kammer ist länger«, stellte sie fest.
    »Ja«, pflichtete Wu ihr zaghaft bei. Chang nickte und grinste wie über einen Witz, wobei sie die Hände sittsam über dem Schoß gefaltet hielt.
    »So, damit das klar ist. Wir sind ungefähr zweihundertundzwanzig Kilometer in den Stein vorgedrungen, der insgesamt zirka zweihundertundneunzig Kilometer lang ist. Diese Kammer könnte also etwa fünfzig Kilometer tief sein.« Ihre Hände zitterten. »Aber das ist nicht der Fall.«
    »Sieh genauer hin!« sagte Lanier.
    »Eine optische Täuschung. Ich kann die nördliche Kappe nicht sehen.«
    »Nein«, sagte Farley viel zu verständnisvoll.
    »Also?« Patricia blickte sich im Wagen um. Die anderen verzogen keine Miene, außer daß Chang verstohlen lächelte. »Was soll ich denn, verdammt noch mal, sehen?«
    »Sag’s du uns!« verlangte Lanier.
    Patricia überlegte fieberhaft, blickte an der gegenüberliegenden Seite der Kammer empor und versuchte, die Entfernungen in der eigenartigen Perspektive der riesigen Zylinder einzuschätzen. »Anhalten!«
    Farley brachte den Wagen zum Stehen; Patricia stieg aus und stellte sich auf die Fahrbahn. Dann kletterte sie über eine Leiter auf die Ladefläche am Wagendach und blickte an der kerzengeraden Straße entlang. Die Straße verlor sich im eigenen Fluchtpunkt – keine Kappe, keine Begrenzung. Mit der Landschaft verhielt es sich nicht recht viel anders.
    »Sie ist größer«, stellte Patricia fest. Farley und Lanier standen neben dem Wagen und sahen zu ihr hinauf. Wu und Chang stiegen ebenfalls aus. »Sie ist größer als der Asteroid. Sie geht übers Ende hinaus. Wollt ihr mir das sagen?«
    »Wir sagen gar nichts«, erklärte Lanier. »Wir zeigen’s nur. Das ist die einzige Möglichkeit.«
    »Ihr wollt sagen, daß sie nicht aufhört, daß sie weitergeht?« Die Panik, die schrille Faszination in ihrer eigenen Stimme entging ihr nicht.
    Der Stanford-Professor hatte sich seinerzeit vor sechs Jahren geirrt. Nicht nur Götter und Außerirdische wußten ihre Arbeit zu schätzen. Jetzt wurde ihr klar, warum sie von Vandenberg per Shuttle und OTV auf den Stein heraufgeholt worden war.
    Der Stein war innen länger als außen.
    Die siebte Kammer ging endlos weiter.

 
5. Kapitel
     
    Patricia hatte neun Stunden geschlafen, wie sie mit einem Blick auf die Armbanduhr feststellte. Sie lag auf der Pritsche und lauschte dem leisen Flattern der Zeltleinwand im Wind.
    Es bestand zumindest in dieser Gegend der siebten Kammer keine Notwendigkeit für Massivbauten. Das Klima war trocken und mild und die Lufttemperatur warm. Patricia blickte hinauf zur Plane, die zwischen den Alustangen aufgespannt war, und zur Plasmaröhre, die durch den Stoff schimmerte.
    Ich bin hier. Das ist Wirklichkeit.
    »Worauf du dich verlassen kannst«, flüsterte sie. Im Zelt, einem Labyrinth von Trennwänden und Böden aus Planen, das eine Fläche von ungefähr hundert Quadratmetern aufwies, plauderten mit gedämpfter Stimme Farley und Chang auf Chinesisch.
    Als während der ersten Stunden in der siebten Kammer eine Kabine im Zelt für Patricia eingerichtet und das Essen arrangiert wurde, war sie übereifrig gewesen und hin- und hergeflitzt wie eine

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