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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Singerer erinnerte sich. Er hatte in der Akte von Mehrendorf gelesen und beabsichtigt, später mit ihm zu reden. »Gut, dass Sie anrufen, Herr Mehrendorf. Ich wollte ohnehin mit Ihnen sprechen. Sind Sie hier im Gebäude?«
    »Ich habe gerade eine Meldung erhalten, die auch Sie interessieren dürfte«, sagte Mehrendorf. »Das Polizeisiegel an Simon Krysteks Tür wurde aufgebrochen. Jemand hat in der vergangenen Nacht seine Wohnung betreten.«
     
    Lothar Mehrendorf fuhr den zivilen Dienstwagen, einen dunkelblauen Passat, und Singerer musterte ihn unauffällig. Gut vierzig, ein rundliches, nicht ganz sauber rasiertes Gesicht, das dunkelbraune Haar etwas zu lang und am Nacken fransig. Unter dem Rollkragenpullover wölbte sich deutlich sichtbar der
Bauch. Singerer schätzte sein Übergewicht auf mindestens fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig Kilo, und nicht zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, warum manche Menschen so nachlässig mit sich selbst umgingen. Er selbst achtete auf seine Ernährung und trieb regelmäßig Sport, wenn es die Umstände zuließen. Der Körper war die Basis des Geistes, und wenn man ihn vernachlässigte, so musste das negative Auswirkungen auf das Bewusstsein haben. Roland Singerer legte großen Wert auf seine intellektuellen Fähigkeiten, was einer der Gründe war, warum er vor mehr als zehn Jahren vollkommen dem Alkohol abgeschworen und auch mit dem Rauchen aufgehört hatte. Seine Arbeit erforderte geistige Klarheit, und darüber identifizierte er sich, über die Arbeit. Er war, was er tat.
    »Sie waren mit Alexander Torensen befreundet, nicht wahr?«, fragte Singerer nach einer Weile.
    »Ja«, sagte Mehrendorf und hielt an einer Ampel. Nieselregen fiel aus grauen Wolken, und die Wischer strichen in Abständen von einigen Sekunden über die Windschutzscheibe. Viele Fußgänger hatten ihre Regenschirme aufgespannt, andere den Kragen ihrer Mäntel hochgeschlagen und die Hände tief in die Taschen geschoben.
    »Ja, seit vielen Jahren.« Mehrendorf sah ihn nicht an und behielt die Ampel im Auge. »Er hatte nur noch ein paar Jahre bis zur Pensionierung … Wissen Sie bereits, wer ihn ermordet hat?«
    »Wir vermuten, dass eine der Schlüsselpersonen dahintersteckt, eine gewisse Yvonne Jacek.«
    »Schlüsselpersonen?«, wiederholte Mehrendorf. Die Ampel sprang um, und er fuhr wieder los.
    Singerer erklärte ihm, was es damit auf sich hatte. »Bisher
haben wir drei identifiziert: Simon Krystek, Dario Deveny und Yvonne Jacek. Leider sind alle drei spurlos verschwunden.«
    Lothar Mehrendorf steuerte den Passat über eine große Kreuzung und bog dann rechts ab. Sie fuhren durch eine graue, feuchte, kalte Stadt, die an diesem Tag ihre Farben verloren zu haben schien. »Das stimmt nicht ganz.«
    »Was?«
    »Wir haben eine Spur von Krystek gefunden«, sagte Mehrendorf. »Hat Alexander Ihnen nichts davon gesagt?«
    »Nein …«
    »Vielleicht hatte er dazu keine Gelegenheit mehr. Bevor Krystek verschwand, holte er ein Bahnticket nach Lettland ab, das bei seinen Sachen in der Galerie Pierce & Bruni lag.« Mehrendorf erzählte von der Ausstellung in Riga, dem Velázquez und der Zimmerreservierung im Reval Hotel Latvija. »Vielleicht kreuzt er tatsächlich dort auf.«
    »Hatte Torensen bereits eine Überwachung des Hotels und der Ausstellung in Riga organisiert?«, fragte Singerer.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wir kümmern uns darum, sobald wir uns die Wohnung angesehen haben. Sie gehören von jetzt an zu meinem Team. Irgendwelche Einwände?«
    Mehrendorf blickte kurz zur Seite, und Singerer gab ihm ein kameradschaftliches Lächeln. Er fand es wichtig, dass sich seine Mitarbeiter wohlfühlten.
    »Nein«, sagte Mehrendorf und lächelte ebenfalls.
    »Ist es noch weit?«
    »Wir sind da.« Torensens Assistent steuerte den Passat auf einen Parkplatz, nicht weit vom Eingang eines älteren, mehrstöckigen Wohnhauses entfernt. Ein Polizist erwartete sie dort
und führte sie in den zweiten Stock. Vor der einen Spaltbreit geöffneten Tür des Apartments stand ein zweiter Polizist, der sich ebenso wie der erste ihre Ausweise zeigen ließ. Dann deutete er auf das gebrochene Siegel.
    »Wann haben Sie es bemerkt?«, fragte Singerer.
    »Vor einer halben Stunde, bei der ersten für diesen Tag geplanten routinemäßigen Kontrolle«, erwiderte der Beamte.
    »Sind Sie in der Wohnung gewesen?«
    »Die Tür stand wie jetzt offen. Wir haben sie etwas weiter geöffnet und einen Blick ins Apartment geworfen, mehr nicht.«
    »Und

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