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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sind.«
    Anna beugte sich herab und sah auf den Schirm, kam ihm dadurch so nahe, dass ihr Haar ihn berührte. Sebastian hatte
plötzlich das Gefühl, in Atemnot zu geraten. Annas Nähe … Er sah sogar das leichte Pulsieren der Halsschlagader, und für ein oder zwei Sekunden glaubte er, das Pochen ihres Herzens zu hören: Bumm-bumm, Bumm-bumm …
    Ruckartig stand er auf und hob die Hände zu den Schläfen. »Was hat er mit mir gemacht?«
    »Ich weiß, dass du einen Hirntumor hattest«, sagte Anna. »Und jetzt hast du ihn nicht mehr. Raffaele hat dich geheilt.«
    »Der Tumor ist weg, ja. Aber was steckt stattdessen in mir?«
    »Bastian …« Die Fingerspitzen der rechten Hand berührten ihn an der Wange. »Bestimmt wird alles gut. Du wirst sehen.«
    Anna wollte ihn beruhigen, aber die Sorge in ihren Augen war unübersehbar. Noch einen Schritt näher kam sie, schlang die Arme um ihn und drückte den Kopf an seine Brust. Sebastian war so überrascht, dass er nicht sofort reagierte. Dann ließ er die Hände langsam sinken und strich Anna übers Haar. Sie blickte zu ihm auf, und er sah ihre Lippen, die Feuchtigkeit darauf, ihr kaum wahrnehmbares Zittern, sah, wie sie sich öffneten …
    Er küsste sie, und zehn Sekunden später lagen sie im Schlafzimmer nebenan im Bett und rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Auf diese Weise hatten sie sich nie zuvor geliebt, mit einer fast animalischen Wildheit, mit der Gier des Verdurstenden, der plötzlich zu trinken bekam. Er roch und schmeckte ihren Körper, den er so gut kannte und der ihm so sehr gefehlt hatte: die warmen, kleinen Hügel ihrer Brüste, die glatte Ebene des Bauchs, die dunkle Schlucht zwischen ihren Schenkeln, herrlich lebendige Landschaften, die ihn einluden, zu erforschen und zu entdecken. Alles erschloss sich ihm mit neuer, überraschender Intensität. Als er in sie eindrang, schien
ihr Stöhnen so laut zu sein, dass es fast von den Wänden widerhallte, und der Trommelschlag ihres Herzens schwoll zu einem rasenden Donnern an. Er hörte sogar das Blut in ihren Adern, laut wie die Brandung des Meeres. Ihre Hände waren überall an seinem Körper, und jede Berührung goss Öl ins Feuer seiner Leidenschaft. Er wartete, bis sie zum ersten Mal kam, und dann noch einmal, und ein drittes Mal, er wartete, bis er ihre Hände an den Hinterbacken spürte, ihr Zeichen, so wie damals. Er wartete, bis sich ihre Fingernägel in sein Fleisch gruben und sie gleichzeitig die Beine anzog, als wollte sie ihn noch tiefer in sich aufnehmen, und daraufhin ergoss er sich in sie.
    Sebastian wusste nicht genau, was in den Sekunden danach geschah. Nie zuvor hatte er einen so starken Orgasmus erlebt, und er schien auch länger gedauert zu haben als sonst. Für eine Weile waren alle Gedanken und Gefühle ausgelöscht, und dann merkte Sebastian, dass er reglos dalag, so entspannt wie seit Wochen oder Monaten nicht mehr. Anna lag dicht neben ihm, und wo sie ihn berührte, brannte es noch immer, aber nicht mehr so heiß wie zuvor. Er drehte den Kopf, sah jede einzelne Schweißperle auf ihrer olivfarbenen Haut, sah jede einzelne Pore und glaubte zu hören, wie sie atmeten. Die Wimpern der geschlossenen Augen zitterten leicht, ebenso die Lippen. Eine Strähne von Annas dunklem Haar rutschte ganz langsam zur Seite, und er hörte ein Rauschen wie vom Wind in Baumwipfeln. Wenn er horchte, vernahm er ein leises Kratzen, mit dem einzelne Haare übers Kopfkissen strichen. Das Herz pochte in ihrer Brust, jetzt wieder langsamer, und andere Geräusche kamen aus ihrem Körper, vom Magen ein leichtes Gluckern, von Leber und Nieren so etwas wie ein dumpfes Summen. Es war die Melodie des Lebens, und wenn sie so
klang, lautete die Botschaft des Körpers: Ich bin gesund; es geht mir gut.
    Was ist mit mir? , dachte Sebastian, und noch während ihm diese Frage durch den Kopf ging, verlor sie an Bedeutung. Viel interessanter war es, Dinge zu sehen und zu hören, die er bisher weder gesehen noch gehört hatte, zumindest nicht auf diese Weise. Er blickte zur weißen Decke hoch und sah die winzigen Unebenheiten in ihr wie tiefe Schluchten, gesäumt von hohen Bergen. Und das Flimmern unter der Decke … Wenn er es in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit rückte, löste es sich wie unter einem Mikroskop auf, und dann erkannte er die einzelnen Moleküle der Luft. Sie zitterten erst und stießen sich gegenseitig an, trieben dann langsam dahin, drehten sich wie kleine Ballons und schienen seinem Willen zu

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