Aeon
weißt, ich liebe dich.«
»Paul …«
»Es ist nur …«
»Komm rein und lern meine Familie kennen! Die Nervosität wird sich legen. Keine Sorge. «
Sie schlossen die Wagentür, öffneten den Kofferraum und holten die Einkäufe hervor. Patricia schleppte einen Karton die Vordertreppe hinauf. Ihr Atem dampfte in der kalten Abendluft. Sie streifte an der Türmatte den Schmutz von den Schuhen, schob die Tür auf, hielt sie mit dem Ellbogen offen und rief: »Mama! Ich bi n’s . Und ich hab Paul mitgebracht.«
Rita Vasquez nahm ihrer Tochter den Karton ab und stellte ihn auf den Küchentisch. Mit ihren fünfundvierzig Jahren war Rita nur eine Spur pummelig, aber die Kleidung, die sie trug, entsprach nicht einmal den Erwartungen des Modemuffels Patricia.
»Was ist das? Eine Nahrungsmittelspende?«, fragte Rita und schloss Patricia in die offenen Arme.
»Mama, wo hast du den Polyester-Anzug her? So einen hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Fand ich weggepackt in der Garage. Den kaufte mir dein Vater, da warst du noch gar nicht auf der Welt. Wo ist Paul denn?«
»Er bringt noch zwei Kartons.« Sie zog den Mantel aus und schnupperte. Es roch nach Tamales in Maishülsen, brutzelndem Schinken und Kartoffelbrei. »Duftet wie zu Hause«, sagte sie, und Rita strahlte.
Im Wohnzimmer stand der noch kahle Alubaum – es war eine Tradition der Familie, den Baum am Heiligen Abend zu schmücken –, und das Gasfeuer brannte im offenen Kamin. Patricia machte sich von Neuem vertraut mit dem alten Stuckrelief aus Weinreben unter dem Kaminsims und den schweren Holzbalken an der Decke. Sie lächelte. Sie war in diesem Haus zur Welt gekommen. Wohin sie auch ginge, und wär’s noch so fern, hier war sie daheim. »Wo sind Julia und Robert?«
»Robert ist in Omaha stationiert«, antwortete Rita aus der Küche. »Sie können diesmal nicht kommen. Geht vielleicht bis März.«
»Oh«, sagte Patricia enttäuscht. Sie kehrte in die Küche zurück. »Wo ist Papa?«
»Der sieht fern.«
Paul erschien schwer beladen in der Küchentür. Patricia nahm ihm einen Karton ab und stellte ihn neben dem Kühlschrank zum Auspacken auf den Boden. »Wir haben eine ganze Kompanie erwartet, also haben wir ’ne ganze Menge mitgebracht«, erklärte sie.
Rita kramte kopfschüttelnd in den gestapelten Nahrungsmitteln. »Tja, es wird schon gegessen. Mr. und Mrs. Ortiz von nebenan kommen und Cousin Enrique mit seiner neuen Frau. Das also ist Paul?«
»Jo.«
Rita umarmte ihn, wobei sie ihn kaum berührte. Dann trat sie, seine Hände haltend, einen Schritt zurück und betrachtete ihn. Er lächelte. Der große, schlanke Paul mit dem braunen Haar und der hellen Haut, der mehr wie ein Angloamerikaner aussah als die meisten der Seinen. Trotzdem lächelte Rita, als sie mit ihm plauderte. Paul konnte allein die Stellung behaupten.
Patricia ging durch die Diele in die gemütliche Stube, wo ihr Vater vor dem Fernseher liegen würde. Sie waren nicht reich, und der Fernseher hatte schon fünfundzwanzig Jahre auf dem Buckel und warf bei dreidimensionalen Ausstrahlungen bunte Schatten.
»Papa?«, fragte Patricia leise und schlich im Halbdunkel heran.
»Patty!« Ramon Vasquez schielte um die Lehne. Ein breites Lächeln sträubte seinen pfeffergrauen Schnauzbart. Er war seit drei Jahren nach einem Schlaganfall teilweise gelähmt, woran trotz Operationen nichts mehr zu ändern war. Patricia setzte sich neben ihn aufs Sofa.
»Ich habe Paul mitgebracht«, sagte sie. »Schade, dass Julia diesmal nicht hier sein kann.«
»Find ich auch. Aber so ist das mit der Air Force.« Ramon war zwanzig Jahre bei der Air Force gewesen bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1996. Abgesehen von Patricia war die ganze Familie in die Luftwaffe eingebettet. Julia hatte Robert vor sechs Jahren bei einer Party in der March Air Force Base kennengelernt.
»Ich hab Neuigkeiten für alle, Papa.«
»So? Was denn?« Hatte sich seine Sprache verbessert seit ihrem letzten Gespräch unter vier Augen? Offenbar. Sie hoffte es.
Rita rief aus der Küche: »Tochter! Komm, hilf mir und Paul, die Sachen wegzuräumen!«
»Was siehst du?«, fragte Patricia, die nur ungern ging.
»Nachrichten.«
Ein Kommentator – und sein kaum weniger beeindruckender Schatten – leiteten über zu einer Meldung, die den Stein betraf. Obwohl die Mutter ein zweites Mal rief, blieb Patricia noch.
»Während immer mehr Personal auf den Stein geschickt wird, fordern Bürger und Wissenschaftler eine offene
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