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Aeon

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Titel: Aeon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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vorgekommen. Mit geballten Fäusten starrte sie zur südlichen Kappe. Die meisten Fallschirme waren schon so tief, dass sie nicht mehr zu sehen waren.
    Patricia starrte auf den leeren Sitz vor sich und biss sich auf die Unterlippe. Der Zug war – Versehen oder Vorsehung – unbewacht.
    Seit dem Aufbruch von der Erde lebte sie in einem Traum. War es möglich, in einem Traum gefangen zu sein?
    Im Traum kannst du alles tun, sobald du herausbekommen hast, wie man lenkt, formt und regelt.
    Und die von Kreidestücken getroffenen Gleichungen …
    Wenn stimmte, was sie den Gleichungen entnommen hatte, dann existierte genau in diesem Augenblick irgendwo ein Ort – eine Kurve –, wo Vater in seinem Lehnstuhl saß und die Tiempos de Los Angeles las, und der Korridor führte dicht daran vorbei. Sie müsste nur nach der richtigen Tür suchen, dem richtigen Korridorabschnitt, und sie fände Rita und Ramon, Paul und Julia.
    Sie konnte kaum erwarten, es Lanier zu sagen. Er wäre froh. Rimskaya wäre stolz, weil er sie empfohlen hatte. Sie hatte das Geheimnis des Korridors gelöst – die letzten Stücke des Puzzles waren im Traum an die richtige Stelle gerückt.
    Patricia könnte sie alle wieder nach Hause führen.
    An ihrer Haltestelle stieg sie aus dem Zug und ging die Treppe hinauf.
    »Patricia?«
    Patricia drehte sich um und schaute einem Mann ins Gesicht, den sie nicht kannte. Er saß auf der niedrigen Betonmauer rund um den U-Bahn-Eingang. Sein Haar war schwarz und kurz, und er trug einen eng anliegenden schwarzen Anzug.
    »Entschuldigung«, sagte sie und sah ihn dabei kaum an. Sie war mitten in einem heftigen Anfall von Arbeit. »Ich kenne dich nicht. Ich kann nicht bleiben.«
    »Wir auch nicht. Du musst mit uns kommen!«
    Eine große Gestalt mit einem furchtbar schmalen Schädel und hervorquellenden Augen erhob sich. Ihre Schultern waren in silbriges Gewebe gehüllt; ansonsten war sie nackt. Die Haut war weich wie Leder und ebenso braun.
    Patricia machte – aus der Versenkung gerissen – große Augen.
    »Hier geht’s drunter und drüber, nicht wahr?«, sagte der Mann. Patricia bemerkte, dass seine Nase keine Nasenlöcher hatte. Seine Augen waren hellblau, beinahe leer, und seine Ohren groß und rund.
    »Entschuldigung«, sagte sie, »aber ich weiß nicht, wer du bist.«
    »Ich heiße Olmy. Mein Begleiter ist ein Frant, der keinen Namen hat. Ich hoffe, unser Eindringen stört dich nicht. Wir haben euch alle hier genauestens beobachtet.«
    »Wer seid ihr?«, wollte Patricia wissen.
    »Ich habe hier einmal gewohnt, vor Jahrhunderten«, sagte Olmy. »Und meine Vorfahren vor mir. Übrigens könntest du einer meiner Vorfahren sein. Bitte. Wir haben keine Zeit zum Reden. Wir müssen aufbrechen.«
    »Wohin?«
    »Den Korridor hinunter.«
    »Echt?«
    »Da liegt meine Heimat. Der Frant und die Seinen kommen von woanders. Sie … nun, arbeiten quasi für uns, wenn man das so sagen kann.«
    Der Frant schüttelte ernst den Kopf. »Bitte, fürchte dich nicht«, sagte er mit einer Stimme, die wie tiefes Vogelträllern klang.
    Eine Brise von der nördlichen Kappe strich über die Stadt der dritten Kammer und fuhr durch die Kronen der Bäume in der Nähe. Dem Windstoß folgte ein schlankes Gefährt von ungefähr zehn Metern Länge, das einem plattgedrückten Kegel mit stumpfer Spitze glich. Es umrundete graziös einen Turm und landete.
    »Du hast Erstaunliches geleistet«, sagte Olmy. »Es gibt Leute in meiner Heimat, die sich für deine Arbeit brennend interessieren.«
    »Ich versuche, den Heimweg zu finden«, sagte Patricia. Sie kam sich vor wie ein verirrtes Mädchen, das einen Polizisten befragt. »Bist du ein Polizist? Bewachst du die Stadt?«
    »Nicht immer«, gab Olmy zur Antwort.
    »Bitte komm mit uns«, sagte der Frant, der auf seinen langen, eigenartig krummen Beinen näher trat.
    »Wollt ihr mich entführen?«
    Olmy hielt die Hand vor; ob das als verneinende oder bejahende Geste gedacht war, konnte sie nicht sagen.
    »Wenn ich nicht freiwillig mitkomme, dann macht ihr mir Beine?«
    »Beine machen?« Er schien nicht zu verstehen. »Du meinst, dann zwingen wir dich?« Olmy und der Frant tauschten Blicke aus. »Ja«, erklärte Olmy.
    »Dann komm ich also besser freiwillig mit, was?« Die Worte schienen von einer entrückten Patricia zu kommen, einer bislang unbekannten, die gelassen war und vertraut mit der Deutung von Albträumen.
    »Bitte«, sagte der Frant. »Bis es hier wieder ruhiger zugeht.«
    »Ruhiger wird’s hier nicht

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