Aerzte zum Verlieben Band 42
aufgedreht, um jetzt schlafen zu können.
Sie ließ ihren Aktenkoffer aufschnappen, holte den Laptop heraus und stöpselte das Internetkabel ein. Beim Abrufen ihrer E-Mails fand sie nichts, was sie jetzt brennend interessiert hätte. Anna rief eine Suchmaschine auf und starrte auf den blinkenden Cursor.
„PTBS“, tippte sie ein.
Haufenweise Webseiten. Sie öffnete die erste, und Minuten später war sie völlig in das Thema vertieft.
Posttraumatische Belastungsstörungen entstanden nach einem einschneidenden, schockierenden Ereignis. Dazu zählten Naturkatastrophen, Autounfälle, Gewalttaten oder, besonders bei Kindern, medizinische Prozeduren wie eine Krebsbehandlung. Ganz oben auf dieser Liste standen jedoch Kriegserlebnisse.
Sie las, dass jede traumatische Erfahrung Körper und Bewusstsein in einen Schock versetzte, aus dem sich die meisten Menschen allerdings befreien konnten, weil sie das Geschehene irgendwie verarbeiteten. Bei PTBS verharrte der Betroffene in einem psychischen Schockzustand. Die Erinnerung an das Trauma war von den Gefühlen, die das Opfer dazu empfand, abgekoppelt.
Wie gebannt sah Anna auf die Liste mit den Symptomen:
Albträume
Flashbacks
Schlafstörungen, Schlafmangel
Gereiztheit, plötzliche Wutausbrüche
Anna nickte zustimmend. Sie hatte kein Wort darüber verloren, nachdem Luke die arme OP-Schwester angefahren hatte, aber die anderen redeten darüber. Und sie wunderten sich, dass er alle Einladungen um Weihnachten herum oder zum Jahreswechsel strikt abgelehnt hatte. Einige erinnerten sich sogar an sein seltsames Verhalten bei der Weihnachtsfeier und daran, wie er wie von Furien gehetzt aus der Kantine gestürmt war.
Ihr Blick fiel auf die nächsten Punkte. Allerdings brauchte sie nicht noch mehr zu lesen, sie war überzeugt, dass Luke an PTBS litt.
Depressionen gehörten dazu. Schuldgefühle auch. Oft versuchten die Betroffenen, sich mit Alkohol oder Drogen zu betäuben. Sie hatte Luke noch nie einen Schluck Alkohol trinken sehen, aber waren das Laufen und das Schwimmen im eiskalten Meer, mitten im Winter, nicht auch Formen der Betäubung? Sich körperlichen Schmerzen aussetzen, um das seelische Leiden zu verdrängen?
Opfer von PTBS wurden als Menschen beschrieben, die sich von anderen fernhielten. Zukunftspläne, heiraten, eine Familie gründen, das kam für sie nicht infrage. In ihrer persönlichen Wahrnehmung waren sie von einem normalen Leben ausgeschlossen. PTBS verhinderte Beziehungen, schränkte die Leistungsfähigkeit ein und langfristig die Lebensqualität.
Anna fand auch Therapievorschläge, aber jeder einzelne setzte voraus, dass der Betroffene bereit war, sich seinem Leiden zu stellen und die Symptome nicht als Zeichen der Schwäche zu werten. Luke war in einer Soldatenfamilie aufgewachsen, unter Brüdern. Anna konnte sich gut vorstellen, dass die Eltern sie zu harten Kerlen erzogen hatten. Über Gefühle und Schwächen redete man eben nicht, oder?
Luke hatte es abgestritten, dass er Flashbacks bekam. Dass sie ihn bei diesem Albtraum gesehen hatte, war ihm unangenehm gewesen.
Ich wollte nicht, dass du das siehst …
War er bewusst wach geblieben, wenn sie mit ihm im Bett lag?
Dann hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht. Für ihn musste der Druck noch stärker geworden sein, seit sie miteinander schliefen.
Ihr war sonnenklar, dass Luke unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Und die einzige Möglichkeit, ihn davon zu befreien, bestand darin, ihn damit zu konfrontieren.
Ein schrilles Fiepen drang in ihre Gedanken. Ihr Wecker klingelte, und Anna lachte auf. Was für eine Ironie des Schicksals – es war Zeit aufzustehen, in einer Stunde begann ihr Dienst. Bedrückt ging sie unter die Dusche, aber sie konnte nicht aufhören, an Luke zu denken. Die vielen Puzzleteilchen ergaben endlich ein Bild, und es war düsterer, als sie vermutet hatte.
Und was sie betraf, so gehörte sie zu diesem Bild dazu. Es war zu spät, um sich herauszuhalten. Sie hatte sich in Luke Davenport verliebt.
Aber wie sollte sie ihm helfen?
9. KAPITEL
„Was ist das?“ Anna bückte sich nach etwas, das auf dem Fußboden seines Zimmers lag.
Luke warf einen Blick auf die Goldrandkarte, die sie jetzt in der Hand hielt. Verdammt, er hatte gar nicht gemerkt, dass er sein Ziel verfehlt hatte.
„Nichts“, sagte er. „Sie sollte in den Papierkorb.“
„Aber …“ Sie las den in edler Kalligrafie gedruckten Text und blickte dann erstaunt auf. „Luke, das ist eine
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