Aerzte zum verlieben Band 55
verdammt!
Halt dich an das, was du kannst.
Der Verlust des Augenlichts hatte andere Sinne geschärft. Seine Ohren, seine Nase und seine Haut erzeugten Bilder in seinem Kopf. Tom konzentrierte sich auf das, was er auf seine Weise âgesehenâ hatte. Hayley Grey duftete nach Sonne und Sommergärten und weckte in ihm das Bild einer unbeschwerten, fröhlichen jungen Frau. Aber ihre Stimme verriet Tiefe und eine raue Wehmut, sodass Tom sich gut vorstellen konnte, sie auf einer Bühne zu hören, mit einem berührenden Blues, der von Schmerz und Sehnsucht sang.
âCarol hat von den Fidschis angerufenâ, holte Jared ihn aus seinen Gedanken. âSie wünscht dir für heute viel Glück. Ich habe ihr gesagt, dass du zurückrufst. Sie ist wie eine Mum, was?â
âSo ähnlich.â Lächelnd dachte er an Carol, die sich um die Kinder in den Dörfern kümmerte. Und er war froh, dass sie seinen Wunsch respektiert hatte und nicht Hals über Kopf nach Sydney aufgebrochen war, nachdem sie von seinem Unfall und der Erblindung gehört hatte. In einigen Wochen war ihr Projekt dort sowieso abgeschlossen.
An Carol zu denken, half ihm, sich auf das Wesentliche zu besinnen: die Gegenwart. Es erinnerte ihn daran, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als sich fruchtlosen Gedanken an eine gewisse Oberärztin hinzugeben.
Der morgendliche Ausflug ins Harbour diente nur einem Zweck: Tom wollte sich auf seine erste Vorlesung vorbereiten. Er war fest entschlossen, jedem zu zeigen, dass er alles im Griff hatte, so wie vor zwei Jahren auch. Nur sein Arbeitsgebiet war nicht mehr dasselbe.
Harte Arbeit scheute er nicht â er war sie gewohnt, seit er vierzehn war. Mike hatte ihn dazu gebracht, seine Schulnoten zu verbessern, indem er ihm versprach, dass er dann im FuÃballteam bleiben könnte. Toms Ziele hatten sich im Lauf der Zeit verändert, aber der Weg dorthin war der gleiche geblieben ⦠den Fokus zu hundert Prozent auf das Ziel richten und keine Ablenkung dulden, egal woher.
Jared war die einzige Hilfe, die Tom sich gestattete. Wenn er unterrichten wollte, brauchte er einen Fahrer.
âIch halte zwei Vorträge, einen um dreizehn und den anderen um achtzehn Uhr.â Tom hoffte, dass man ihm nicht anmerkte, wie mulmig ihm zumute war. Angefangen hatte es vor zwei Tagen, und seitdem war das Lampenfieber nur schlimmer geworden. âIch brauche dich jedes Mal vorher, um den PC einzurichten.â
Als Jared mit der Antwort zögerte, wuchs das Unbehagen noch. âIst das ein Problem?â
âDu weiÃt, ich tue alles für dich, Tom.â
Das war nicht übertrieben. Er hatte Jared das Leben gerettet, und der Junge war fest entschlossen, Toms Leben erträglicher zu machen.
âIch muss um sechs einen Chemie-Test schreiben.â
Es hatte Tom viel Mühe gekostet, Jared davon zu überzeugen, wieder zur Schule zu gehen. Auf keinen Fall sollte er den Test versäumen â auch wenn das bedeutete, dass Tom jemanden im Harbour um Hilfe bitten musste. Was ihn hart ankam. âDas solltest du auch, wenn du Medizin studieren willst.â
âOkay, aber was ist, wenn sie dir den PC falsch einstellen?â
Tom lächelte grimmig. âDas werden sie nicht wagen.â
âBewegen Sie den verdammten Retraktor!â, bellte Finn. âDas Ding ist nicht dazu da, mir die Sicht zu versperren.â
âEntschuldigung.â Hastig versetzte James den Wundspreizer.
Dr. Finn Kennedy, leitender Chefarzt der Chirurgie, war heute nicht in der Stimmung, sich mit Studenten herumzuschlagen. Keine zwei Minuten war es her, dass er den Bauchraum des Notfallpatienten geöffnet hatte und ihm das Blut entgegengekommen war. Schnell hatte sich eine Pfütze auf dem Boden des OP-Saals gebildet.
Während Finn angestrengt versuchte, die Ursache für die massive Blutung zu finden, schoss ihm ein heftiger Schmerz durch die Schulter und in seinen Arm. Genau wie letzte Nacht und fast jede Nacht davor, sodass er kaum Schlaf bekam. Selbst sein hochgeschätzter Scotch hatte den Schmerz nicht lindern können.
âDer Blutdruck machtâs gerade noch, Finnâ, ertönte Davids Stimme hinter dem sterilen Tuch. âEvie hat gute Arbeit geleistet, als sie den Mann für dich stabilisiert hatâ, fügte der Anästhesist hinzu.
âHmâ, brummte Finn, während er noch mehr Tupfer um die Leber herum platzierte. Auf die Begegnung
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