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Aetherhertz

Aetherhertz

Titel: Aetherhertz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Bagus
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Mann konnte ja nichts dafür, dass sie für einen Moment gedacht hatte, ihr Vater wäre unbemerkt zurückgekommen und säße nun an seinem Schreibtisch, als wäre nichts geschehen. Der „junge Herr Falkenberg“ sah ihrem Vater auf den ersten Blick sehr ähnlich. Das gleiche widerspenstige braune Haar, immer ein bisschen zu lang. Die gleichen braunen Augen, die so warm und trotzdem eindringlich schauen konnten. Ein Gesicht, das, obwohl glatt rasiert, männlich aussah, entschlossen und dennoch sensibel.
    Sie hatte sich ihm gegenüber schlecht benommen. Sie hatte einfach zu wenig Erfahrung mit so etwas. Sie seufzte. Frau Barbara stand hinter ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter.
    „ Es wird alles gut, Blümchen.“
    Annabelle lehnte sich zurück und genoss es, dass Frau Barbara ihr über den Kopf streichelte, als wäre sie noch ein kleines Mädchen. Sie hatte sie einmal gefragt, warum sie sie Blümchen nannte.
    „ Nun, mein Kind“, hatte Frau Barbara geantwortet. „Bellis heißt das Gänseblümchen – und du bist süß und klein, wie ein Gänseblümchen auf der Wiese.“
    So fühlte sich Annabelle auch – sie interpretierte es aber anders: Sie war so unscheinbar wie ein Gänseblümchen auf der Wiese unter vielen anderen Gänseblümchen. Total unauffällig, sodass jeder darauf herumtrampelte. Sie wäre gerne etwas Auffälligeres, keine Rose oder Dahlie, aber vielleicht eine Passionsblume, die sie mit ihrem Vater in Mexiko gesehen hatte. Die Rankenplanze kletterte mit ihren prächtigen Blüten hoch empor und die Früchte schmeckten wunderbar, obwohl sie von außen wie ein brauner vertrockneter Ball aussahen: Schnitt man sie auf, verströmte das schleimige Innere einen verführerischen Geruch, und der Glibber schmeckte unvergleichlich süß und sauer zugleich. Sie wuchsen hier leider nicht, aber sie war stolz darauf in ihrem Gewächshaus eine zu haben, die immer wieder blühte, und manchmal auch Früchte trug.
    „ Der Anwalt hat uns Geld angewiesen. So konnte ich erst mal viele Rechnungen bezahlen.“ Frau Annabelle nahm die Milch vom Herd und rührte Grieß ein.
    Annabelle ging das alles zu schnell: „Ich muss eine Möglichkeit finden, selbst Geld zu verdienen.“
    „ Kommt Zeit, kommt Rat“, beschwichtigte Frau Barbara.
    „ Ach, du willst doch nur, dass ich heirate.“ Annabelle war angriffslustig und flocht sich den Zopf wieder.
    „ Ich will, dass du glücklich bist.“
    Der Zopf war zu fest geworden, und Annabelle löste ihn wieder: „Warum bin ich nicht wie die anderen? Die denken nur ans Heiraten. Ewig wird nur über alle verfügbaren Junggesellen geschnattert.“
    „ Blümchen, dein Vater hat dir die Welt gezeigt. Du hast schon viele Dinge gesehen, die andere in vielen Leben nicht erfahren, und das macht dich anders.“
    „ Das macht alles nur schwerer.“ Sie wickelte sich das Zopfband um die Finger und zog daran, bis es wehtat.
    „ Nu iss erst mal.“ Frau Barbara stellte ihr einen Teller hin, nahm ihr das Band ab und flocht ihr schnell einen lockeren Zopf. Der Geschmack von Grießbrei beruhigte Annabelle. Die wohlige Wärme des Kohleofens, der in der Ecke vor sich hinbullerte und die Geräusche von Frau Barbara, die schon mit der Zubereitung des weiteren Abendessens beschäftigt war, all das entspannte sie.
    Sie zuckte zusammen, als es an der Haustür klingelte. Frau Barbara machte auf und kam mit einem älteren Mann zurück.
    „ Wir sind in der Küche, ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus“, plapperte Frau Barbara.
    „ Nein, ich sitze gerne in Küchen und am liebsten in Ihrer. Da gibt es immer was zu essen. Liebe Annabelle!“ Der Mann verbeugte sich tief vor Annabelle, die aufsprang, um ihn zu begrüßen.
    „ Onkel Karl!“, rief sie entzückt. Als der Mann sich aus der Verbeugung erhob, fiel sie ihm stürmisch um den Hals.
    „ Na, na, Liebchen – vorsichtig mit einem alten Mann.“
    Onkel Karl war eine imposante Erscheinung: groß und breitschultrig, muskulös, mit einem sonnengebräunten Gesicht. Um die von buschigen Augenbrauen überschatteten blauen Augen zeugten Falten von Leben, Lachen und Liebe. Ein mächtiger blonder Schnurr- und Backenbart und ein dichter Schopf aschblondes Haar mit von der Sonne gebleichten Strähnen betonten seine Vitalität. Annabelle kannte ihn fast nur in Khakis, mit hochgerollten Hemdsärmeln, die braun gebrannten Arme mit goldenen Haaren übersät, ein Gewehr über der Schulter, hohen Stiefeln – bereit, den Gefahren einer Expedition ins

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