Aetherhertz
eindringlich: „Siehst du Vater, und genau dessen bin ich mir nicht sicher. Ja, es gibt bestimmt Gesetze. Aber der Amtsschimmel ist langsam. Die Verdorbenen gibt es noch nicht so lange. Ich möchte wissen, wie diese Gesetze aussehen, und welche Lücken es gibt.
Ich bin davon überzeugt, dass die Angst uns beide Augen zukneifen lässt. Wir schauen nicht hin, weil es dann vielleicht von alleine verschwindet, wie es gekommen ist. Weil wir uns dann keine Sorgen machen müssen und unsere Gesellschaft weiter so verkrustet bleiben kann. Aber die Zeiten haben sich geändert, Vater! Wir müssen dem Problem ins Auge schauen. Der Æther macht vor einem Adelstitel oder einer gut gefüllten Brieftasche nicht halt. Und so wie er in die Flussauen sickert, so wird sich die Veränderung in unserer Gesellschaft immer weiter ausbreiten: unaufhaltsam und schleichend.
Unsere Ignoranz wird ausgenutzt. Die Machenschaften in dieser Kaserne sind vielleicht legal, vielleicht aber auch nicht, und wir wissen es nicht, weil sich niemand dafür interessiert. Aber ich interessiere mich, und ich will nichts unversucht lassen, um Annabelle zu helfen.
Bitte Vater, hilf mir.“
Peter Falkenberg sah seinem Sohn in die Augen. Er erkannte sich selbst nicht in diesem Gesicht, aber er erkannte seine Frau, und er wusste, wie sie darüber denken würde. Er war kein Revolutionär, alles, was er je wollte, war ein sicheres Polster und einen bescheidenen Wohlstand, der es sich leisten konnte, auf ein paar Dinge wert zu legen. Er strebte keinen Reichtum an, aber er wollte stolz auf sich sein, und er wollte, dass seine Frau stolz auf ihn war.
Er malte sich aus, wie sie neben ihm liegen würde, und all die Vorwürfe und unausgesprochenen Fragen eine riesige Entfernung schafften, die er so mühsam versuchte zu verhindern. Aber letztlich würde er ihre Seufzer nicht mehr ertragen und aufstehen, um zu trinken, bis er im Sessel einschlief.
Margarethe würde wollen, dass Paul glücklich wurde. Und Peter wollte, dass seine Frau glücklich war.
„ Ich muss darüber nachdenken“, sagte er müde.
„ Danke, Vater. Das bedeutet mir viel.“ Sie standen noch einen Moment nebeneinander und schwiegen.
„ Schick bitte deine Mutter zu mir.“
Das tat Paul dann auch. Als er aus dem Haus trat, war es schon dunkel. Die Gaslaternen zischten, ein kalter Wind wehte Blätter über den Hof. Er blieb einen Moment unschlüssig stehen. Es schien ihm nicht recht, einfach so in sein Haus zu gehen, während Annabelle in diesem Gefängnis sein musste. Er fühlte sich ruhelos, heimatlos, unvollständig, aber er brauchte Kraft für die nächsten Tage. Er hatte viel vor.
Kapitel 10
Annabelle war schon wach, als jemand ihr Zimmer betrat. Es war eine Frau, die wie eine Mischung aus Krankenschwester, Nonne und Soldatin gekleidet war. Die Frau schloss die Tür zu, dann musterte sie Annabelle und hielte ihr einen Becher Wasser hin. Nachdem Annabelle ihn genommen hatte, holte die Frau aus ihrer Uniformtasche eine Kapsel.
„ Schlucken Sie die. Bitte.“
„ Warum?“
„ Sie haben Besuch.“
„ Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun?“
„ Nach dem Besuch werden Sie untersucht.“ Die Hand mit der Kapsel schwebte vor ihr und Annabelle betrachtete sie misstrauisch.
„ Was wollen die denn noch untersuchen? Hören Sie, ich war doch bis jetzt kooperativ. Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich über meine Hand weiß. Ich bin nicht gefährlich, und ich habe die Frau nicht umgebracht. Ich weiß aber, wer es war!“
Die Frau sah sie abwartend an. Sie war nicht hier, um zu diskutieren.
Resigniert nahm Annabelle die Kapsel mit der linken Hand. Sie fühlte sich sofort müde und grau. Es war ein stumpfes und bedrückendes Gefühl und sie wollte diese Kapsel nicht schlucken. Ihr war aber klar, dass diese Frau vermutlich nur Befehle ausführte. Alles Reden würde nichts nutzen. Sie hatte keine Wahl. Also legte sie sie sich in den Mund und spülte sie herunter.
Die Frau nahm sie am Arm und führte sie in einen Raum, in dem zu ihrer Überraschung Johanna auf sie wartete. Ihre Freundin war in diesem Zimmer so fremd und unerwartet wie ein Pfau im Hühnerstall. Annabelle wusste, dass Johanna für ihre Verhältnisse schlicht gekleidet war, doch sie kam ihr vor wie ein Rausch an Farben und Formen. Sie freute sich sehr über diesen Anblick, gleichzeitig merkte sie, dass es eine unsichtbare Barriere zwischen ihr und ihrer Freundin gab. Johanna hatte Angst. Also nahm sie einfach ihr
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