Affaere in Washington
entscheiden, ob sie großzügig oder sparsam kolorieren, ein abgezirkeltes Muster oder kecke Flecken auftragen wollte. Die Arbeit mit dem Ton dagegen war primitiver und reizte sie deshalb mehr.
Mit bloßen Händen ging sie nun ans Werk. Sie presste, drückte und streichelte einen formlosen Ball aus dem frischen Tonklumpen. So ähnlich versuchten manche Menschen, sich gegenseitig zu beeinflussen, ihre Kinder nach einem festen Bild zu gestalten. Das fand Shelby nicht gut, und sie war froh, sich an diesem Material austoben zu dürfen. Das konnte sie verändern, umarbeiten oder auch wegstellen und neu damit beginnen, bis sie mit ihrem Werk zufrieden war. Zu leicht sollte es auch nicht sein, ein gewisser Widerstand war ihr lieber. Allzu nachgiebige, anpassungsfähige Personen waren deshalb nicht nach ihrem Geschmack. Wer sich nie wehrte und es allen Leuten recht machen wollte, der war schon halb tot!
Mit geschicktem Griff drückte sie die Luftblasen aus dem Ton. Das Material war feucht und frisch. Shelby hatte es nach einem speziellen Verfahren sorgfältig vorbereitet, um die richtige Konsistenz zu bekommen. Ein feuchter Schwamm lag griffbereit an der Seite.
Shelby legte beide Hände gleichmäßig um den Ton, als die Drehungen der Scheibe sich beschleunigten. Dann verstärkte sie den Druck und spürte, wie der nichtssagende Klumpen eine bestimmte Form anzunehmen begann, so wie sie es wollte.
Völlig auf ihre Arbeit konzentriert, achtete Shelby nicht auf die Zeit. Nur die Scheibe summte, und das Radio spielte im Hintergrund. Wie durch Zauberei reagierte die hellbraune Masse auf jede Bewegung ihrer Finger, die dadurch Shelbys schöpferische Fantasie in eine gegenständliche Form übersetzten.
Zuerst hatte sie die Knöchel in die Mitte der Kugel gepresst, das ergab einen dickwandigen Ring. Langsam und ganz vorsichtig zog sie nun dessen Seiten zwischen Daumen und Fingern in die Höhe, bis ein zylindrischer Körper zu erkennen war. Durch Flachdrücken würde eine Platte entstehen, aus der sich dann eine gewölbte Schale aufrichten ließe, je nachdem, wie Shelbys Hände es dem weichen Material abverlangten. Sie beherrschte den gefügigen Ton, so wie sie selbst von ihrer Kreativität beherrscht wurde. Eine ganz bestimmte symmetrische Form schwebte ihr heute vor. Etwas Starkes, Maskulines sollte dieser Gegenstand ausdrücken, mit klaren, gleichmäßigen Linien von unauffälliger Eleganz.
Die Rotation der Scheibe und Shelbys modellierende Finger zauberten nach und nach aus der unansehnlichen Masse ein besonderes Stück von eigenwilliger Gestalt und Schönheit. Geschickt und sicher bearbeitete sie die bauchige Schale innen und außen, ein Falz entstand als Fuß und oben ein breiter geschwungener Rand. Auch über die Bemalung war Shelby sich im Klaren: hartes Jadegrün und unter der dicken Glasur gelegentlich kleine Tupfen – aber wirklich nur eine Spur – von weicherem Farbton. Die klare Fläche durfte nicht durch Muster oder Verzierungen unterbrochen werden. Geradlinig, schlicht und streng, würde die Schüssel nur durch ihre Form und Farbe wirken.
Zufrieden ließ Shelby die Hände sinken. Es war besonders wichtig, mit einer Arbeit zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzuhören und nichts mehr zu verändern. Übertriebene Sorgfalt konnte ebenso großen Schaden anrichten wie zu wenig. Sie stellte den Drehmechanismus der Scheibe ab, betrachtete ihr Werk noch einmal kritisch und brachte die große Schale dann vorsichtig auf einen besonderen Platz zum Trocknen.
Am nächsten Tag würde die Masse fest sein wie Leder. Dann könnte mit feinem Werkzeug nachgearbeitet, geschliffen und gesäubert werden.
Die Kolorierung wird perfekt sein, überlegte sie. Und beim Glasieren kann ich die sanften Tupfen in den leuchtenden Untergrund einfließen lassen. Schade, dass der Ton noch zu frisch ist und die Farbe jetzt nicht hält.
Seufzend streckte sie ihren Rücken, nun spürte sie die Anstrengung der konzentrierten Arbeit. Ein heißes Bad würde ihr guttun.
Shelby drehte sich zur Tür um und holte erschrocken tief Luft.
»Das war ein bemerkenswerter Anschauungsunterricht.« Alan nahm die Hände aus den Hosentaschen und trat auf Shelby zu. »Wissen Sie gleich, wenn Sie mit einem neuen Stück beginnen, wie es fertig aussehen wird, oder kommt die Inspiration während der Arbeit?«
Shelby pustete sich die Haare aus der Stirn, bevor sie antwortete. Keinesfalls wollte sie ihn das Nächstliegende fragen, nämlich, was er hier suchte und wollte.
Weitere Kostenlose Bücher