AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
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Auch politisch passt sie dem katholischen, konservativen Königshaus in Dresden nicht ins Konzept. „Luise ist viel zu demokratisch. Sie hat eine lächerliche Liebe für das Volk und vergisst stets die Pflichten ihres Standes“, soll die Schwägerin der Kronprinzessin gesagt haben. Luise ist frustriert. Ihr Mann hat kein Verständnis für ihre Anpassungsschwierigkeiten. Kronprinzen, die gegen ihre dominanten königlichen Väter aufbegehren, sind eher die Ausnahme, nicht die Regel. Und tun sie es, werden sie oft vom „System“ gebrochen, gedemütigt, zu Resignation oder zur Flucht in Alkohol und Frauenexzesse getrieben.
Von ihrem Ehemann erwartet sich Luise keine Unterstützung mehr. Sie sucht Trost außerhalb ihrer Ehe und der aristokratischen Zwangsjacke, die über ihr Frauenleben gestülpt wurde. Bei einer Reise nach Paris lernt sie den attraktiven 23-jährigen André Emile Giron kennen. Der Belgier arbeitet bei einer befreundeten Familie als Erzieher und Hauslehrer. Er sei „schlank, schwarzhaarig mit kleinem dunklen Schnurrbart“ gewesen. „Ein lebhafter Mann mit gutem Benehmen und gutem Geschmack für Kleidung“, schreibt Luises Biografin Erika Bestenreiner.
Es war „Liebe auf den ersten Blick“. Jedenfalls kommen sich die Prinzessin und der Hauslehrer schon in Paris näher. Eine Romanze. Sicherlich wird der gute Mann auch über Qualitäten verfügt haben, die geeignet waren, Luise ihre unbefriedigende Ehe vergessen zu lassen. Die Kronprinzessin von Sachsen wirbt den Herrn Lehrer ab. Für ihre Kinder nur die beste Ausbildung. André Giron übersiedelt nach Dresden und unterrichtet die sächsischen Königs-Enkel in Französisch. Die Überstunden widmet er der Kindesmutter. Das Paar ist unvorsichtig, in mehrfacher Hinsicht: Ihre Liebeskorrespondenz wird entdeckt und Luise ist schwanger. Obwohl zu dieser Zeit Präservative längst bekannt und industriell hergestellt wurden, verzichtete das Paar auf entsprechende Vorsorge.
Der gehörnte Ehemann reagiert unwirsch. Luise heuchelt nicht einmal Reue. Sie packt heimlich ihre Koffer und gibt an, zu einem Kuraufenthalt nach Salzburg zu reisen. Der Abschied ist für immer geplant. Denn Luise nimmt ihren gesamten wertvollen Schmuck mit. Eine gewisse Distanz zum sächsischen Hof in Dresden wäre durchaus im Interesse beider Seiten gewesen. Die Affäre macht aber Schlagzeilen. Die „Innsbrucker Nachrichten“ berichten in ihrer Ausgabe vom 27. Dezember 1902 unter dem Titel „Das Ehedrama der sächsischen Kronprinzessin und der Liebesroman des Erzherzogs Leopold Ferdinand“, dass der sächsische König „einer Ohnmacht nahe gewesen sei“. Getobt wird der strenge Herr jedenfalls haben. Das Leserpublikum empörte sich auch schon damals gern über das Lotterleben in hochgestellten Kreisen.
Der Zweck der Reise ist, wie es scheint, kein ungewöhnlicher: ein vorweihnachtlicher Besuch der alten Eltern im heimatlichen Salzburg. Am 9. Dezember 1902 verlässt die Kronprinzessin Dresden. Salzburg ist nur ein Zwischenstopp. Luise begibt sich direkt an den Genfersee, um dort ihren Bruder Leopold Ferdinand Salvator zu treffen. Der Erzherzog kann als Drahtzieher der Flucht beschrieben werden. Von adeliger Etikette hält Leopold Ferdinand nichts, er verachtet den Adel und will seiner geliebten Schwester helfen. Der Skandal bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen. Das „Dresdner Journal“ vom 22. Dezember 1902 berichtet: „Die Kronprinzessin hat im Zustande von krankhafter seelischer Erregung vor einigen Tagen Salzburg verlassen und sich unter Abbruch ihrer Beziehungen zu höchst ihren Verwandten nach dem Auslande begeben.“ Ruinöse Nachrichten über das (katholische!) Königshaus. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird das Gerücht in Umlauf gebracht, die entlaufene Prinzessin sei geistig verwirrt. Die „Deutsche Zeitung“ kommentiert: „Mitleid mit der Geflohenen könnte man nur dann haben, wenn sie wirklich … geistig nicht vollständig Herrin ihrer Sinne gewesen sein sollte …“ Mit dieser Mutmaßung liegt der Redakteur ganz auf der Höhe der Zeit. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts werden Frauen, die Spaß im (fremden) Bett haben, von Wissenschaftlern als abnormal bezeichnet. „Ist das Weib geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein“, urteilt 1886 Richard von Krafft-Ebing, ein damals anerkannter
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