AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Psychiater.
Da bei einer Kronprinzessin „wohlerzogen“ vorausgesetzt werden kann, bleibt, so schließt man messerscharf, nur die zweite Möglichkeit: Die mannstolle Luise ist nicht verrückt. Dem Kaiserhaus in Berlin ist das Liebesleben der Habsburger in der Donaumonarchie grundsätzlich suspekt. Kaiser Wilhelm II. kritisiert nicht nur die Affäre der Kronprinzessin, sondern die „Verfehlungen“ der Habsburger allgemein. Der sächsische Gesandte in Berlin übermittelt, nicht ohne Genugtuung, folgenden Bericht über die Ansichten des deutschen Kaisers: „Auch die im österreichischen Kaiserhaus herrschenden Zustände, die Sucht der jungen Mitglieder, unter ihrem Stand zu heiraten, erfüllten ihn mit großer Sorge für die Zukunft der verbündeten österreichischen Monarchie.“
Leopold Ferdinand Salvator, dessen Nähe und Rat Luise sucht, könnte dem Hohenzollern als abschreckendes Beispiel gedient haben. Der flotte Erzherzog muss tiefes Verständnis für die Nöte seiner schwangeren Schwester zeigen, ist er doch selbst regelmäßig in Affären verstrickt. Eine Tatsache, die dem alten Kaiser Franz Joseph I. in Wien keineswegs verborgen bleibt. Schließlich überwacht eine eigene Geheimpolizei in Wien das geschlechtliche Treiben der Mitglieder des allerhöchsten Kaiserhauses und zeichnet in den „Konfidentenberichten“ ein schillerndes Sittenbild des Erzhauses. Die Bespitzelung der diversen habsburgischen Familienmitglieder hatte weniger moralische als finanzielle Gründe. Die hochadeligen Herren (und in bescheidenerem Ausmaß) auch die Damen pflegten für diverse amouröse Abenteuer und Verstrickungen hemmungslos Wechsel auszustellen, die dann diskret vom Familienfonds aufgekauft werden mussten, ehe sie eine zu weite Verbreitung und damit Öffentlichkeit fanden. Die Konfidentenberichte ermöglichten also eine gewisse finanzielle Planung.
Die toskanischen Herzogskinder, Luise und Leopold, reisen also um der Liebe willen nach Genf. Die sächsische Geheimpolizei hat ein Telegramm der Kronprinzessin an ihren Geliebten abgefangen und damit die Affäre aufgedeckt. Luise, die Mutige, tritt im wahrsten Sinne des Wortes die Flucht nach vorne an. Sie hat Angst vor dem strengen König Georg und seiner Rache. In ihrer Autobiografie „Luise von Toscana. Mein Lebensweg“ berichtet die Entflohene über folgende Drohung ihres Schwiegervaters: „Luisa, deine Ansichten … überzeugen mich immer mehr, dass du das Ideal einer Königin von Sachsen nicht erfüllen kannst. Ich bedaure nur, dass deine lächerlichen modernen Ideen mir nicht erlauben, dich für Lebenszeit einzusperren … Zum Glück sind in unserer Zeit alle Vorsichtsmaßnahmen für Geisteskranke getroffen, und ich werde mich persönlich dafür interessieren, dass du von den Folgen deiner Handlungen bewahrt bleibst.“ Luise dürfe künftig mit ihren Kindern nicht mehr allein sein, da sie „sie in einem hysterischen Anfall bedrohen oder angreifen könnte.“ Die bevorstehende Entbindung werde auf dem „Sonnenstein“ stattfinden, der, in den Worten der damaligen Zeit, eine Irrenanstalt war. „Wenn ich an das dachte, erfasste mich plötzlich Todesangst. Nein, mein Kindchen durfte niemals in einem Narrenhaus geboren werden“, wird Luise später schreiben. War also nicht das Verlangen nach einem jungen Liebhaber, sondern die Angst vor der Rache eines alten Despoten der Grund für ihre Flucht? Es spricht einiges dafür.
Die beiden Habsburger, deren Sündenfall den aktuellen Skandal ausgelöst hat, werden schon bald in Genf ausfindig gemacht. Sachsens König Georg fackelt nicht lange; die Ehre des gehörnten Sohnes und – wichtiger noch – die Ehre des Königshauses muss wieder hergestellt werden. Ein Sondergericht mit sieben Richtern soll die „Eheirrung“ zwischen „Seiner Königlichen Hoheit Kronprinz Friedrich-August“ und „Höchstseiner Gemahlin, Ihrer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit der Frau Kronprinzessin Luise“ bereinigen. Am Ausgang des Verfahrens kann kein Zweifel bestehen. Praktischerweise hat die „gefallene Prinzessin“ dem verhassten Schwiegervater das Geständnis brieflich frei Haus geliefert: „… Um nicht den Mut zu verlieren, brauche ich nun nur noch, dass Du mir, liebster Papa, vergeben mögest, nachdem ich voll Vertrauen den schwersten Schritt meines Lebens gemacht, Dir meine Schuld offen zu gestehen!“
Am 11. Februar 1903 wird die Ehe „wegen Ehebruchs der Frau Beklagten mit dem Sprachlehrer André Giron“ geschieden.
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