AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
politischen Fahnenfrage geworden.
Ihre Tränen wird vermutlich der neue Mann an ihrer Seite, Conte Carlo Guicciardi, getrocknet haben. Der Geliebte ist noch weniger standesgemäß als der ursprüngliche Scheidungsgrund, der schöne André Giron. Der Italo-Lover ist, wenn auch getrennt lebend, verheiratet und wie einem Bericht der österreichischen Botschaft in Rom zu entnehmen ist, ein „von Wein und Tabakdünsten erfüllter campagnard (Bauerntölpel)“. Seit Friedrich August hat Luise – so scheint es – genug von blonden, braven Männern. Entsetzt vom weiteren gesellschaftlichen Abstieg seiner vormaligen Gattin will Friedrich August, der mittlerweile zum König aufgerückt ist, die kleine Anna Monica Pia endgültig vor dem schädlichen Einfluss ihrer Mutter schützen und nach Dresden holen. Luise lässt sich schließlich in einem zwischen ihr und dem sächsischen König geschlossenen Vertrag ihre mütterlichen Gefühle gegen eine Erhöhung der Apanage abkaufen. Es hat eben alles einen Preis.
Die kleine Prinzessin soll nach Dresden gebracht werden. Allerdings zögert Luise die Übergabe hinaus, und so schickt der König diverse Damen der Gesellschaft, um das Kind in seine Obhut zu bringen. Die erste Abgesandte kann Luise mit einem Gewehr in die Flucht schlagen. Die zweite weiß, was sie erwartet. Erzieherin Ida Kremer erinnert sich: „Ich sollte in die Löwengrube steigen, um der Löwin ihr Jüngstes zu entführen.“ Auch diese Emissärin kehrt unverrichteter Dinge zurück; Prinzessin Anna Monica Pia bleibt bei ihrer Mutter. Vorerst.
Der Conte kann sich nicht lange in der Zuneigung der gewesenen Kronprinzessin sonnen, er wird von einem musikalischen Landsmann abgelöst: 1907 heiratet Luise den zwölf Jahre jüngeren Komponisten Enrico Toselli. Jetzt muss sie die mittlerweile fünfjährige Tochter endgültig herausgeben.
Die Geburt ihres Sohnes Carlo Emanuele Filiberto im darauffolgenden Jahr hat sie möglicherweise ein wenig über den Verlust hinweggetröstet. Die Beziehung retten kann auch das gemeinsame Kind nicht. Als die Ehe 1912 wegen „Verschwendungssucht und gemeiner Schimpfereien“ geschieden wird, bleibt der Sohn beim Vater. Nach der Scheidung kauft ihr Onkel Ludwig Salvator, der als „König von Mallorca“ sein kleines Gartenreich pflegt, einen bescheidenen Titel: Comtesse d’Ysette. Luise, die sieben Kinder geboren hat, lebt fortan allein. Sie stirbt 1947 in Brüssel in einem eher schäbigen Hotel, die letzten Lebensjahre soll sich die Erzherzogin und Kronprinzessin als Blumenfrau über Wasser gehalten haben. Der unterstellte Männerverschleiß animierte den bayerischen Satiriker Karl Valentin zu einem Couplet und Wissenschaftler zu scheinbar ernsthaften Abhandlungen. Eine davon trug den nicht gerade wertfreien Titel: „Das hysterische Weib in Familie und Gesellschaft – ärztlich-psychologische Betrachtungen zum Falle der Kronprinzessin von Sachsen.“
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Erika Bestenreiner, Luise von Toskana. Skandal am Königshof, München 2000.
Luise von Toscana, Mein Lebensweg, Dresden 2001.
Sabine Fellner/Katrin Unterreiner, Frühere Verhältnisse, Wien 2010.
Robert Seydel, Die Seitensprünge der Habsburger, Wien 2005.
Ida Kremer, Im Kampfe um ein Königskind: Anna Monica Pia, Herzogin zu Sachsen. Meine Erlebnisse als Erzieherin im Hause der Gräfin Montignoso, Dresden 1907.
http://www.sachsen.de/de/bf/verwaltung/archivverwaltung/v2/archive/ dresden/4986_3132353638.htm
http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?apm=0&aid=ibn&datum=19021227&zoom=2
Alma Mahler und Oskar Kokoschka
Die Muse und der Maler
Der Mann schwankt ein wenig. Es war eine lange Nacht, der Alkohol ist in Strömen geflossen. Oskar Kokoschka ist betrunken. Er versucht, seine Gedanken zu sammeln. Sein Blick wird klarer. Es ist so weit. Die Abschiedsfeier ist vorüber. Mit Musik und Champagner, es wäre ganz nach ihrem Geschmack gewesen. Jetzt, endlich, wird er sich von ihr befreien, der Verzweiflung ein Ende setzen. Sein Blick fällt zu Boden. Dort liegt sie. Wo sie hingehört, im Dreck. Er genießt es. Alma wird keine Macht mehr über ihn haben, nicht mehr. Das teure Pariser Kleid ist mit roten Flecken übersät. Es ist vorbei, endgültig.
Am nächsten Morgen entdeckt der Postmann vor dem „Pavillon J“ im Großen Garten von Dresden einen scheinbar blutüberströmten Frauen-Torso. Der schreckhafte Briefträger ruft die Polizei, ein Schutzmann kommt, lacht. Keine Leiche, eine lebensgroße Puppe, ohne Kopf, liegt im Garten.
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