AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Da im Urteil Giron als Scheidungsgrund genannt wird, ist es den beiden nach damaligem Recht unmöglich, zu heiraten. Friedrich August, der Unschuldige, ist allein für die Erziehung der Kinder zuständig. Und er kann die „Herausgabe“ jenes Kindes verlangen, mit dem seine Ex-Frau „in der Hoffnung“ ist. Außerdem hat die gewesene Kronprinzessin vorläufig keinen Nachnamen: Luise verliert durch die „Scheidung dem Bande nach“ ihren ehelichen Namen, „von Sachsen“. Nach deutschem Recht könnte sie nun ihren früheren Titel, also „Erzherzogin von Österreich“, wieder annehmen. Ein solches Ansinnen will Kaiser Franz Joseph I. verhindern. Am 20. Januar 1903 schreibt er über die Suspendierung Luises: „Sie hat sich demnach von nun an weder der Titel einer kaiserlichen Prinzessin und Erzherzogin von Österreich, noch einer königlichen Prinzessin von Ungarn und Böhmen zu bedienen, wie sie auch nicht das ihr angestammte erzherzogliche Wappen weiter zu führen hat.“
Mit dem Mädchennamen ist es also auch nichts. Da sie aber immerhin noch Mutter von Prinzen und Prinzessinnen ist, muss sie wohl im adeligen Stand gehalten werden; man verleiht ihr den Titel einer Gräfin von Montignoso. Für manche hat die sündige Prinzessin durch ihre Scheidung noch nicht genug gebüßt. Der „Allgemeine Verband tugendhafter Frauen“ will „den Ausschluss Luises aus dem weiblichen Geschlecht nachdrücklich betreiben“.
Vermutlich berühren diese Standes- und Titelfragen die gewesene Kronprinzessin wenig. Jedenfalls genießt sie ihre neue Freiheit und zeigt sich, wahrhaft skandalös, mit ihrem Liebhaber André Giron sogar in der Öffentlichkeit. Derweil fragen, daheim in Dresden, die Kinder nach der Mutter. Wo ist sie nur so lange? „Mutigen ist sehr krank, Mutigen kommt wohl nicht wieder“, soll der gequälte Vater geantwortet haben. Ihre Ehe sieht die lebenslustige Prinzessin mittlerweile in einem recht abgeklärten Licht: „Mein Mann ist immer gut zu mir gewesen. In seiner Weise freilich, und er kann wahrhaftig nichts dafür, dass diese Art für mich verletzend und kaum erträglich ist. Seine Zärtlichkeit ist mir zu unbeholfen, zu linkisch derb und in ihrer absoluten Ungeniertheit qualvoll“, sagt Luise einem Redakteur der Wiener Zeitung „Die Zeit“ am 2. Januar 1903. Die mehrfache Mutter ist für den feurigen André Giron entbrannt – ein Strohfeuer. Denn schon vor der Scheidung vom Kronprinzen trennt sich Luise vom Eventualvater ihres jüngsten Kindes. Anna Monica Pia erblickt am 4. Mai 1903 in Lindau das Licht der Welt. Der sächsische Hof spendiert eine Kinderwäsche-Ausstattung. Und er schickt den Direktor der Dresdner Geburtsklinik aus, um das Neugeborene zu untersuchen. Es geht nicht um die Gesundheit, sondern um die Abstammung der kleinen Anna. Hundert Jahre vor dem Zeitalter der DNA-Analyse muss man sich auf Augenscheinliches verlassen: Der sächsische Arzt misst und vergleicht und kommt zu dem Ergebnis, dass „aufgrund der hellen Farbe von Augen und Haaren sowie ihres ganzen Aussehens ausgesprochen auf Kronprinz Friedrich-August als Vater des Kindes“ zu schließen sei. Der Kronprinz erkennt die Kleine als seine Tochter an.
Für Luise hat dieses Anerkenntnis weitreichende Konsequenzen: Zwar gesteht ihr König Georg eine Apanage zu, verlangt aber im Gegenzug, dass Anna gemeinsam mit ihren Geschwistern am sächsischen Hof erzogen werden soll. Die Stimmung der nunmehr sechsfachen Mutter ist nach der Geburt durchaus reuevoll: „Ihr Vater war nicht da, um sie wie die anderen kleinen Geschwister zu küssen und zu liebkosen.“
Ihre fünf in Dresden zurückgelassenen Kinder hat die lebenslustige Mutter seit ihrer Flucht im Dezember 1902 nicht mehr gesehen. Kurz vor Weihnachten 1904 will Luise ihre ehemalige Familie kurzerhand überrumpeln: Sie reist nach Dresden, um die Prinzen und Prinzessinnen im Palast zu besuchen, doch die Polizei verweigert ihr den Zutritt.
Die Affäre ist längst zum internationalen Skandal und zu einem Politikum geworden. Schmähschriften aus dem konservativen Eck versuchen, aus der selbstbewussten Frau eine Kranke, eine Verrückte zu machen. Die Sozialdemokraten in Sachsen stilisieren den Kampf einer Frau um ihre Freiheit als Angriff auf eine verrottete Gesellschaftsordnung. Bei den Reichstagswahlen 1903 ist Luise ein wichtiges Thema. Die sächsische SPD gewinnt massiv und erreicht 59 Prozent der Stimmen. Die Rolle der Frau, ihr Recht auf Selbstbestimmung ist zur
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