AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Schlangen umwuchert scheint.
Im Mai 1911 in Wien begegnen einander der 25-jährige Oskar Kokoschka und Alma Mahler. Zwei exzentrische, narzisstische Persönlichkeiten verlieben sich ineinander: Oskar, der mittellose Künstler, und die um sieben Jahre ältere Alma, Dame aus der bürgerlichen Kunstszene. Alma wird Oskars Modell, seine Geliebte und Muse. Oskar malt nur mehr sie. Er glaubt, ohne sie nicht mehr leben zu können. Bereits 1912 wird Alma schwanger, lässt das gemeinsame Kind jedoch abtreiben. Wie sehr Oskar Kokoschka darunter leidet, zeigen die Bilder „Alma Mahler mit Kind und Tod“ und „Alma Mahler spinnt mit Kokoschkas Gedärmen“. Beide Studien sind 1913 entstanden und heute in der Sammlung Essl in Klosterneuburg zu sehen.
Die Beziehung kühlt immer mehr ab. Am 6. März 1914 schreibt Oskar Kokoschka: „Almi, man kann nicht nach Belieben einmal töricht und einmal weise sein. Man verliert sonst beide Glücksmöglichkeiten. Und Du wirst eine Sphinx, die nicht leben noch sterben kann, aber den Mann umbringt, der sie liebt und der zu moralisch ist, diese Liebe zurückzunehmen oder zu betrügen für sein Wohl.“
Tatsächlich beendet ist das Verhältnis erst, als sich Kokoschka nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges freiwillig an die Front meldet. Wobei das Wort „freiwillig“ die Tatsachen nicht korrekt beschreibt. Vier Monate nach Kriegsausbruch erfuhr der Künstler von seiner drohenden Einberufung. Dem wollte er zuvorkommen und durch eine „freiwillige“ Meldung eine bessere Dienstverwendung erreichen. Alma Mahlers Tochter Anna liefert eine andere Deutung der Geschichte, die ein weniger schmeichelhaftes Licht auf ihre Mutter wirft: „Die Alma hat den Kokoschka so lange einen Feigling genannt, bis er sich schließlich ‚freiwillig‘ zum Kriegsdienst gemeldet hat. Kokoschka wollte keinesfalls in den Krieg, sie aber hatte schon genug von ihm, er war ihr schon zu anstrengend geworden.“
Für den Eintritt in das Dragonerregiment Nr. 15, dem vornehmsten Reiter-Regiment der österreichisch-ungarischen Monarchie, benötigt er ein Pferd. Das Geld dafür kann er aus dem Verkauf der „Windsbraut“ aufbringen. 1915 wird der Maler schwer verwundet; in Wien glaubt man an seinen Tod. Alma Mahler geht in sein Atelier und holt ihre Briefe und einige Skizzen und Zeichnungen. Mittlerweile ist sie mit dem deutschen Architekten Walter Gropius verheiratet, der ebenfalls an der Front kämpft.
Während der Ex-Geliebte, der Ehemann und Millionen andere Männer Krieg führen, baut Alma Mahler ihr gesellschaftliches Leben aus: In ihrem Wiener Salon in der Elisabethstraße gehen zahlreiche Künstler ein und aus. Die Witwe Gustav Mahlers hält Hof. Die weltgewandte Dame, die auch mit anderen Qualitäten lockt, fasziniert die Männer. Und Alma genießt ihre Wirkung. Ihr späterer dritter Ehemann, der Dichter Franz Werfel, schreibt 1918 in sein Tagebuch: „Sie gehört zu den ganz wenigen Zauberfrauen, die es gibt. Sie lebt in einer lichten (blonden) Magie, in der viel Vernichtungswille lebt, Trieb zu unterwerfen, aber das alles wolkig, feucht …“
Drei Ehemänner, zahllose Geliebte, vier Kinder, elf Abtreibungen. Was für eine Frau ist Alma Mahler? Eine Maßlose? Eine Getriebene? Albrecht Joseph beschreibt seine Schwiegermutter: „Sie wollte geliebt werden, um Macht über ihre Verehrer zu gewinnen. Sie strebte nicht nach greifbarer Macht, offizieller Stellung, war nicht einmal geldgierig und hatte wohl viel weniger Affären, als gemeinhin angenommen wird. Sie wollte nur, dass die, denen sie gnädig war, Wachs in ihren Händen wurden.“ Die vielfach Angebetete ist auch selbst großer Gefühle fähig. 1919 schreibt sie in ihr Tagebuch: „Alles ist gleichzeitig. Ich kann keinen verneinen. Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Gropius … alles war und ist wahr!“
Oskar Kokoschka hat seine Lebensliebe nie vergessen. Anlässlich ihres 70. Geburtstages schreibt er an Alma Mahler: „Seit dem Mittelalter hat es nichts Gleichartiges gegeben, denn kein Liebespaar hat je so leidenschaftlich in sich hineingeatmet.“ Zum Fest werden Bekannte und Freunde der Grand Dame gebeten, jeweils ein Blatt Papier zu gestalten. Zu den 77 Gratulanten zählen unter anderem Walter Gropius, Heinrich und Thomas Mann, Carl Zuckmayer, Lion Feuchtwanger, Benjamin Britten, ihr ehemaliger Schwiegersohn Ernst Krenek, Igor Strawinsky, der österreichische Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg und Oskar Kokoschka. Das Kompendium bestätigt das Lebenswerk
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