AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
die Spaß und ein bisschen Kultur in den oft tristen Alltag der „kleinen“, meist armen Leute Italiens bringen.
Eleonora wird von ihrer Mutter in einem schäbigen Hotel in Vigevano geboren. Es nennt sich „Zur goldenen Kanone“. Schon die Geburt ist ein Zeichen. Eleonora Giulia Amalia wird zeit ihres Lebens unterwegs sein, anfangs in schäbigen Zimmern, später im Luxus, selten findet sie ein Zuhause, am ehesten noch auf ihrem Alterssitz im mittelalterlichen Asolo. In diesem Städtchen, das die oberitalienische Ebene überwacht, wohin die Reichen aus Venedig in die Hügel Venetiens entfliehen, wenn der Sommer heiß, die Lagune stickig, das Leben am Meer unerträglich wird, findet sie späte Ruhe – ewige Ruhe.
Bereits als Vierjährige musste sie Rollen übernehmen, wie die „Cosette“ in einer Dramatisierung von Victor Hugos Roman „Les Misérables“. Sie lebt wie ein Zirkuskind, wächst mit dem Schauspiel auf. Alles, was sie lernt, lernt sie im Spiel. Sie mimt leidenschaftlich liebende Frauen, obwohl sie kaum versteht, welche Texte sie nachspricht. Mit nicht einmal 15 Jahren spielt sie in der Arena von Verona die Julia in Shakespeares Liebesdrama „Romeo und Julia“. Es ist eine Art Erweckungserlebnis. Eleonora fühlt sich berauscht vom Stück, vom Erleben der großen Bühne, der vielen Menschen. Sie spielt nicht, sie lebt die Rolle. Es ist eine Wende in der Theatergeschichte. Später wird das natürliche Spiel der Duse, das mit allen Konventionen des aufgesetzten Pathos, des Deklamierens, der überzeichneten Gefühle bricht, als Vorstufe eines neuen Schauspielstils bewertet werden. In New York wirkt Lee Strasberg mit seinem „Actors Studio“ und seinem Stil des „Method Acting“ 60 Jahre später stilbildend. An jenem Abend in Verona hat die 14-jährige Duse einen ersten Schritt in eine neue Welt des Schauspiels gemacht. Sie irrt nach dem Schlussapplaus stundenlang durch die Stadt, weil sie sich verloren hat.
Dieter Wunderlich zitiert in seiner Biografie einen Brief der Duse: „Nach den Regeln muss man in bestimmten Situationen die Stimme erheben, sich übertrieben benehmen. Doch, wenn ich heftige Leidenschaft ausdrücken muss, wenn ich von Freude oder Leid ganz ergriffen bin, werde ich oft stumm, und auf der Bühne spreche ich leise, flüstere kaum.“ Diese neue „moderne“ Art der Darstellung irritierte auch ihre Kritiker, und so rechtfertigte sie ihre Art zu spielen in zahlreichen Briefen. In einem Schreiben an den Theaterkritiker Icilio Polese Santarnecchi beklagt sie: „Glaubt Ihr, dass man über Kunst sprechen kann? Es wäre dasselbe, wie wenn man die Liebe erklären wollte … Es gibt so viele Arten zu lieben und es gibt ebenso viele Offenbarungen der Kunst. Es gibt die Liebe, die erhebt und zum Guten führt: Und es gibt die Liebe, die jeden Willen, jede Kraft, jede Bewegung des Verstandes lähmt. Mir scheint, diese ist die wahrste, aber sicherlich auch die verhängnisvollste … Wer vorgibt, Kunst zu lehren, versteht rein gar nichts von ihr.“
Eleonora Duse hat als Schauspielerin tausende, vielleicht hunderttausende Menschen berührt – sie selbst sucht das Glück ein Leben lang und wird es immer nur für kurze Zeitspannen finden. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schreibt über das Jahrhundertphänomen in einer Titelgeschichte 23 Jahre nach ihrem Tod im fernen Pittsburgh: „In Eleonoras Gesicht hatte damals schon der Schmerz seine sichtbaren Spuren gezeichnet. Vor dreizehn Jahren hatte Martino Cafiero, der glänzende italienische Journalist, sie verlassen. In Marina di Pisa hatte sie ihr Kind begraben. Ihre Ehe mit Tebaldo Checchi, den nicht mehr als durchschnittlichen, aber intelligenten, taktvollen Kollegen, war um des Schauspielers Flavio Andò willen geschieden worden. Die Begegnung mit Andò war kurz ‚wie ein Frühlingsmorgen‘ gewesen. Arrigo Boito, Repräsentant des italienischen Romantizismus, Dichter und Komponist, ein vornehm denkender und empfindender Mann von zarter Güte, wurde ihr ein geliebter Freund.“ Doch die Verbindung hat nicht auf Dauer Bestand. Duses Freundin Olga Signorelli schreibt: „Eleonora versteht und sieht ein, doch sie kann es nicht länger ertragen, dass ihr Herz langsam sickernd in Sehnsucht sich verblutet“. Sie trennte sich auch von Boito.
Und dann trifft die größte italienische Schauspielerin, ein Idol ihrer Zeit, ein Symbol Italiens, den Dichter Gabriele D’Annunzio. Er ist ein eleganter, eitler, selbstverliebter Mann
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