AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Mahler später in ihrer Biografie schreiben. Am Anfang steht eine scheinbar grenzenlose Bewunderung des Künstlers für die Frau, die er malen soll. Almas Stiefvater Carl Moll gehört zu den Förderern des jungen Expressionisten und beauftragt ihn mit einem Porträt seiner Stieftochter. Während eines Abendessens verliebt sich Kokoschka in die Witwe Gustav Mahlers: „Wie schön sie war, wie verführerisch hinter ihrem Trauerschleier! Ich war verzaubert von ihr! Und ich hatte den Eindruck, dass ich ihr auch nicht ganz einerlei war. Nach dem Abendessen hat sie mich sogar beim Arm genommen und mich in ein Nebenzimmer gezogen, wo sie sich hinsetzte und mir am Klavier den ‚Liebestod‘ vorspielte.“
Bald darauf hält Alma „den schönsten Liebes- und Werbebrief“ in Händen. „Meine gute Freundin: … Ich weiß, dass ich verloren bin, wenn ich meine jetzige Lebensunklarheit weiter behalte; ich weiß, dass ich so meine Fähigkeiten verlieren werde, die ich auf ein außer mir liegendes, Ihnen und mir heiliges Ziel wenden sollte.“
Unbewusst trifft der junge Maler mit diesen Worten die Triebfeder, die Alma Mahler intime Beziehungen zu (vielen) Künstlern eingehen lässt. Sie sucht nicht nach Schönheit, Jugend, Reichtum oder Sicherheit. Sie sucht nach Macht. Macht, die sie über die Männer gewinnt, weil sie unverzichtbarer Bestandteil ihrer Kunst wird.
52 Jahre nach Oskar Kokoschkas erstem Liebesbrief – es sollten 400 weitere folgen – schreibt Friedrich Torberg in seinem Nachruf auf Alma Mahler: „Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung.“
Schon in jungen Jahren urteilt Alma mit großer Selbstsicherheit über Künstler. Und behält fast immer recht. „Oskar Kokoschka ist ein Genie! Dass er die Vollkommenheit seines Genies erreichen wird, dessen bin ich gewiss. Ich liebte dieses Genie und das ungezogene störrische Kind in ihm. Es wäre schön gewesen, wenn er mir das geglaubt hätte. So aber jagten seine Eifersucht und sein Misstrauen unsere Bindung zu Tode“. Die stürmische Liebe wird von quälender Eifersucht überschattet. Nach einem Besuch bei der Geliebten geht Kokoschka nicht nach Hause, sondern patrouilliert vor ihrem Haus, um den etwaigen Besuch eines anderen Verehrers zu verhindern. Später wird Alma notieren, Kokoschka sei „über sie zu Gericht gesessen“: „Niemand durfte ich ansehen, mit niemandem sprechen. Er beleidigte alle meine Besucher und lauerte überall auf. Die Kleider mussten an Hals und Arm geschlossen sein; mit gekreuzten Beinen durfte ich nicht sitzen … es grenzte ans Absurde.“ Vergeblich versucht Kokoschka, die Angebetete zur Hochzeit zu überreden. Alma flüchtet sich in lange Reisen ins böhmische Franzensbad, dessen Moorbädern wohltuende Wirkung bei „Frauenleiden“ zugeschrieben werden, und in das mondäne Scheveningen an der Nordsee. „Ich versprach ihm, zurückzukommen und ihn sofort zu heiraten, wenn er ein Meisterwerk geschaffen habe. Und er malte das Meisterwerk – das Bild ‚Die Windsbraut‘ …“, hält die Widerspenstige mit sichtlicher Genugtuung fest.
„Die Windsbraut“ (1915) ist eine Hommage an die Liebe zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka. Es zeigt die Liebenden als Schiffbrüchige in einem kleinen Boot auf hoher See. Kokoschka malt sich selbst mit geöffneten Augen, er starrt schlaflos in die Nacht, während sich Alma zärtlich und entspannt an ihn kuschelt. Um sie herum tobt das aufgewühlte Meer. Selbst das Abbild Oskar Kokoschkas muss aufmerksam über Alma wachen. Das Paar droht im Sturm der Leidenschaft und Eifersucht unterzugehen. Wie stürmisch die See, die Leidenschaft und diese Affäre waren, ist im Kunstmuseum Basel zu besichtigen. Georg Trakl, der zur Zeit der Entstehung des Gemäldes den Maler fast täglich besuchte, interpretiert Kokoschkas wohl berühmtestes Gemälde im Gedicht „Die Nacht“: „Golden lodern die Feuer der Völker rings. Über schwärzliche Klippen stürzt todestrunken die erglühende Windsbraut.“ Im stürmischen Verlauf dieser Affäre entstehen mehr als 400 Bilder, die einen Bezug zu Alma Mahler haben. Für ihr Haus, die „Villa Mahler“ in Breitenstein am Semmering, malt Kokoschka ein vier Meter hohes Fresko, das die Flammen des Kamins weiterführt. Auch dieses Werk ist symbolträchtig: Alma zeigt zum Himmel, während er in der Hölle stehend von Tod und
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