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AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN

Titel: AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jelinek
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geschrieben. Er treibt die italienische Sprache in neue schwülstige Höhen. Bertolt Brecht urteilte 1942 über D’Annunzio in seinem „Arbeitsjournal“: „Er war ein Scharlatan, aber dieser Scharlatan schrieb Hirtengedichte, die kaum untergehen werden.“ Mit der Duse und für die Duse verfasst D’Annunzio jetzt Theaterstücke: „La Gioconda“ (1898) und „Francesca da Rimini“ (1901). Er versucht sich am Konzept eines italienischen Nationaltheaters und scheitert damit, wie mit seinen Stücken, die trotz der immensen Popularität seiner Geliebten nur mäßige Erfolge werden. Eleonora Duse spielt exklusiv die Werke ihres Liebhabers, obwohl ihr – wie Dieter Wunderlich analysiert – D’Annunzios handlungsarme Bühnenstücke kaum eine Möglichkeit lassen, ihr schauspielerisches Können zu beweisen. Sie investiert große Summen in die Produktion und Ausstattung der Stücke, verspielt damit ihr Vermögen und gefährdet ihren Ruf als Künstlerin. Die Zeit der Gemeinsamkeit ist begrenzt. Eleonora Duse spielt auf Tourneen in Russland, Österreich, Deutschland, Schweden und Dänemark. Sie weilt Monate außer Landes, gastiert in Paris auf Einladung der zweiten Schauspiel-Ikone Sarah Bernhardt und folgt dem Ruf des Geldes in die USA. Als erster Frau widmete ihr das „Time Magazine“ eine Titelgeschichte zur Vorankündigung ihrer Amerika-Tournee: „Ihr muss im Allgemeinen die Ehre zugestanden werden, sich an vorderster Front der weltbesten Schauspieler eingereiht zu haben.“
    Die Liebesaffäre erreichte den literarischen Höhepunkt in Briefen. Beide sind viel unterwegs. Beide genießen nur wenige Momente echter Gemeinsamkeit. Eleonore Duse übersteigert ihre Gefühle zum Dichter. Aus Marseille schreibt sie am 31. März 1898: „Gebenedeit seist Du – und das ungebändigte Leben, das Du Dir und der Kunst neu schaffst und wiedererweckst, in Dir für Dich, jedweden Augenblick. Oh! Gebenedeiter Du … Jeden Tag glaube ich zu sterben, während ich jeden Tag erwarte, ihn fern und doch nahe wissend. Ja, ja, Du teure schöne Seele. Dir werde ich entgegengehen … Es wird die ‚dargebrachte‘ Gabe sein. Ach, Seele! Eleonora.“
    Die große Schauspielerin unterwirft sich in den ersten Jahren ihrer Beziehung dem – vermeintlichen – Genie ihres Geliebten und stellt sich ihm mit Haut und Haaren zur Verfügung, ja akzeptiert seine zahlreichen Verehrerinnen. Der Poet honoriert die Hingabe seiner Geliebten nicht, obwohl ihr Ruhm den seinen um Längen übertrifft. In seinem Roman „Il Fuoco“ beschreibt er die Hauptfigur Foscarina als alternde Geliebte eines gefeierten jungen Dichters, die auf den schönen Mann verzichtet, damit dieser zu seinen künstlerischen Höhenflügen aufsteigen kann. Für Eleonora muss diese literarische Beschreibung ihrer Beziehung zu Gabriele D’Annunzio eine weitere Demütigung gewesen sein. Der tiefe Blick in die Seele ihres Angebeteten, der kaum verhüllt den Alterungsprozess seiner Geliebten seziert und die Sehnsucht nach einer Trennung andeutet, stürzt die Duse in Depressionen. „Man muss solche Tage, dem Geist so schwere, vergessen. Ich bereue es so! So sehr.“
    Der Roman bewirkt eine große Verletzung, aber nicht das unmittelbare Ende der Beziehung. Erst Jahre später, nachdem eine weitere Affäre des manischen Frauenjägers in Italiens Gesellschaftszirkeln lebhaft diskutiert wurde, teilte sich das Land in zwei Lager. Die Anhänger der Duse beschuldigten den Selbstverliebten, ihr Idol verraten und eine „großherzige und edle Seele zur Märtyrerin“ gemacht zu haben. Der französische Dichter Romain Rolland, ein enger Freund Stefan Zweigs, nannte D’Annunzio einen „Raubvogel“. Seine Beute waren schöne und meist reiche Frauen. Die Treulosigkeit war für ihn ein Element seiner Dichtung, eine künstlerische Notwendigkeit, jedenfalls eine ziemlich bequeme Ausrede. Die amerikanische Biografin D’Annunzios, Frances Winwar, behauptete in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, die Liebesbriefe seien „Selbstbespiegelungen seiner Seele“ gewesen, die weniger für die Empfängerinnen als für den Autor bestimmt waren. Der Dichter schrieb Briefe als Textvorlagen für künftige Bücher oder Dramen. Nach dem Erkalten einer Beziehung versuchte D’Annunzio gelegentlich seine Liebesbeteuerungen zurückzubekommen, gar zurückzukaufen. Er benötigte die intimen Geständnisse als Unterlagen für neue Werke. Frances Winwar analysiert Gabriele D’Annunzio: „Er musste seine Romane

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