AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
geschlechtlichen Beziehung waren die beiden in stetem Kontakt.
Der 52-jährige Fürst litt an Malaria, er starb an Leber- und Herzversagen. Medikamente gegen seine schleichende Erkrankung hatte er nur unregelmäßig oder gar nicht genommen. Den Ärzten misstraute er. Als Katharina in Sankt Petersburg vom Tod ihres Lebensmenschen informiert wird und ihre Briefe zurückerhält, die sie an Potemkin geschrieben hat, schickt sie alle Bedienten aus dem Salon. Tagelang weint sie.
Schon kurz nach seinem Tod beginnt die Nachwelt die Leistungen des „Mitregenten“ kleinzureden. Die Neider und Gegner erringen die historische Deutungshoheit. Der Geliebte der Zarin wird klein gemacht: Seine Erfolge werden als Trugbild, Blendwerk, Attrappe abgewertet. Fassade und nichts dahinter – für all dies gibt es seit mehr als zwei Jahrhunderten ein Synonym: Potemkinsche Dörfer. Die Verleumdung überlagert die Geschichte einer tatkräftigen Persönlichkeit. Den schlechten Ruf „verdankt“ der Zaren-Liebling dem sächsischen Diplomaten Georg von Helbig, der für eine Hamburger Zeitschrift diese Falschmeldungen über Potemkin in die Welt setzte. Der Sachse war dabei Intrigen am Zarenhof aufgesessen. Neider hatte Potemkin genug, seit Katharinas Favorit für die Zarin im Winter und Frühjahr 1787 eine pompöse Leistungsschau inszenierte. Die Reise in den Süden bis auf die Schwarzmeer-Halbinsel Krim sollte eine Machtdemonstration sein. Zur für Monate geplanten Luxusreise in das neu kolonialisierte Russland lud Fürst Potemkin nicht nur die Zarin, sondern auch hochrangige Gäste aus ganz Europa. Kaiser Joseph II. folgte der Einladung ebenso wie deutsche und französische Gesandte. Russland wollte die nach den Siegen über die Türken eroberten Gebiete zeigen, wollte Macht zur Schau stellen und so in den Kreis der ersten europäischen Mächte aufgenommen werden. Es war eine Demonstration von Größe und Luxus gegen die Geringschätzung der Königs- und Kaiserhöfe in Paris, Berlin und Wien.
Kaiser Joseph II. blieb angesichts der vorgeführten Bauten nüchtern, zeigte sich aber durchaus beeindruckt. In kaum drei Jahren hatte Potemkin unter großen Opfern der Bevölkerung eine Hafenstadt buchstäblich aus dem Boden gestampft und 40 Kriegsschiffe auf Kiel gelegt. Joseph II. war nicht nur begeistert, er verstand den Salut der Flotte im neuen Hafen sehr wohl auch als Drohung. Mit Russland war zu rechnen. Eine Weltmacht hatte die Bühne betreten. Potemkin war der Regisseur. Sicherheitshalber macht der römisch-deutsche Kaiser Potemkin zum Fürsten des Kaiserreichs. Die Kräfte zehrende Luxus-Sightseeing-Tour durch den Süden Russlands ist der Höhepunkt in Potemkins aufreibendem Leben. Nach dieser Reise lassen seine Kräfte nach, sein maßloser Lebensstil fordert Tribut. Mit 50 Jahren hat er das beste Mannesalter längst hinter sich gelassen.
Die Geschichte der „Potemkinschen Dörfer“ prägte fortan das Russland-Bild in Europa und verstellte den Blick auf die Kraft des russischen Reichs. Russland wurde immer wieder unterschätzt. Graf Segur warnte als Kenner des Riesenreichs Napoleon Bonaparte vor seinem Russland-Feldzug – vergeblich.
Sterbend in der bessarabischen Steppe erinnert sich der „Tiger“ an die Briefe, die er, längst aus dem Liebesdienst entlassen, seiner Seelenverwandten geschrieben hat. In diesen Schriften darf er Schwäche zeigen, er ist ausgebrannt: „Meine Matuschka. Ich bin am Ende meiner Kräfte. Krämpfe quälen mich. Ich bin zu nichts zu gebrauchen. Kaltblütigkeit ist jetzt vonnöten und nicht diese Empfindsamkeit, wie sie mir zu eigen ist. Seid gnädig, erlaubt mir, mich auszuruhen. Wenigstens ein bisschen. Wahrhaftig, ich kann nicht mehr.“
Doch die Zarin lässt ihren besten Mann nicht zur Ruhe kommen. „Mein lieber Freund Fürst Grigori Alexandrowitsch. Nichts macht mir solche Angst wie deine Krankheit. Aber in eben diesem Moment, mon cher ami, seid Ihr keine unbedeutende Privatperson, die tun und lassen kann, was ihr gefällt. Ihr gehört dem Staat. Ihr gehört mir.“
Der mächtigste Herr Russlands bleibt bis zum Tod Leibeigener einer Frau.
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Friedrich Weissensteiner, Liebe in fremden Betten, Wien/Frankfurt am Main 2001.
Simon Sebag Montefiore, Katharina die Große und Fürst Potemkin, Frankfurt am Main 2009.
Dieter Wunderlich, Vernetzte Karrieren. Friedrich der Große, Maria Theresia, Katharina die Große, Regensburg
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