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Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Titel: Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Sprung in die Hölle
    »Okay, es ist ganz einfach«, durchbrach ich das bleierne Schweigen der Jungs und versuchte, Leanders nervöses Pfeifen und Summen zu ignorieren. Seit heute Morgen dudelte er Joe le taxi vor sich hin. Angeblich ein Song, mit dem die Frau von Johnny Depp berühmt geworden war. Vor circa dreihundert Jahren. Interessierte mich nicht. Mich interessierte nur eins: von dem einen Flachdach, auf dem wir standen, auf das andere Flachdach zu springen. Drei Meter Luftlinie. Maximal. Eher weniger. Begriffen Seppo, Billy und Serdan das denn nicht? Es war machbar. Im Sportunterricht sprangen wir alle mindestens vier Meter weit. Serdan sogar fünf. »Es ist wirklich einfach. Anlauf, springen, abrollen.«
    »Ja, es ist eine besonders einfache Art, sich umzubringen«, murrte Seppo und stierte finster auf den Boden, doch ich sah für ein paar Sekunden das Sommersonnenlicht in seinen Augen glitzern. Die Andeutung eines Lächelns. Er wollte es genauso wie ich. Wir alle wollten es. Kein Parkour mehr in der dämmrigen, miefigen Schulturnhalle vor den Augen unseres Klassenlehrers, sondern ohne Erwachsene, im Freien, über den Dächern Ludwigshafens. Wir hatten es satt, auf Weichbodenmatten zu landen und uns von Herrn Rübsam die Hände mit Magnesia einpudern zu lassen.
    »Das hier ist ein vierstöckiges Haus, Luzie«, fuhr Seppo gedämpft fort. »Wenn einer von uns stürzt, dann sind …« Er brach ab und auch Leander stoppte sein unseliges Pfeifen. Einen Moment lang blickten mich beide so intensiv an, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich senkte die Lider. Seppo konnte ich ins Gesicht sehen, egal, wie ernst er guckte, aber bei Leander hatte ich so meine Schwierigkeiten. Denn Leander hatte ich geküsst, auf der Klassenfahrt. Oder hatte er mich geküsst? Egal – er hatte es anschließend sowieso vergessen. Weil er betrunken gewesen war. Vielleicht wollte er sich auch nicht daran erinnern. Manchmal war mir das ganz recht, denn ich hatte keine Lust, mit ihm über unseren Kuss zu diskutieren, und Leander musste immer über alles ausführlich diskutieren, aber in die Augen schauen konnte ich ihm dennoch nicht richtig.
    Wenn ich mit den anderen Jungs zusammen war, war das auch besser so. Denn ich war die Einzige, die Leander sehen konnte. Leander war nämlich mein Schutzengel. Ich durfte ihn so nicht nennen, weil er das Wort Schutzengel bis aufs Blut hasste – er nannte sich Sky Patrol oder Wächter –, aber er war dazu da gewesen, mich zu beschützen. Bis er in Streik getreten und mit dem Körperfluch belegt worden war. Bedeutete im Klartext: Ich konnte ihn sehen und hören; alle anderen konnten ihn nur fühlen. Seitdem bestand mein Leben aus Chaos, Lügen und Missverständnissen. Wenigstens war mir kaum mehr langweilig.
    Auch mit den Menschenjungs war es in letzter Zeit schwierig geworden. Denn ich hatte nicht nur Leander geküsst. Nein, ich hatte auch Serdan geküsst. Um mich an Leander zu rächen, weil der heimlich Sofie geküsst hatte. Ich mochte Serdan, und seitdem ich ihn geküsst hatte, machte mein Magen einen kleinen Satz, wenn ich mich morgens in der U-Bahn zu ihm und Billy setzte.
    Sobald ich jedoch an Leanders und meinen Kuss dachte, unten im Schatten der Burgruinen in vollkommener Dunkelheit, in Angst und Tränen, schlug mein Magen einen astreinen Salto und wurde dann zornig. Weil er es vergessen hatte. Wie konnte er so etwas vergessen? Jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, ärgerte ich mich über mich selbst. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich seinen Kussgedächtnisverlust wirklich gut oder nicht doch vielleicht eher schlecht fand. Auf der einen Seite wollte ich, dass er sich erinnerte. Auf der anderen Seite wusste ich nicht, wie wir weiterhin zusammen in meinem Zimmer leben sollten, wenn er sich daran erinnerte. Das Zusammenleben mit ihm war schon ohne Kusserinnerungen schwierig genug.
    Ja, kusstechnisch hatte ich mich weiterentwickelt, in nur wenigen Stunden. Und wahrscheinlich hatte Seppo im gleichen Moment Kelly, unsere amerikanische Austauschschülerin, geküsst. Oder tat er es immer noch? Traf er sich mit ihr? Er war still geworden in letzter Zeit, redete manchmal fast so wenig wie Serdan früher. Er ließ nichts mehr aus sich raus. Dafür plapperte Leander umso eifriger und das meiste davon konnte man getrost in der nächsten Sekunde wieder vergessen.
    Lediglich Billy war normal geblieben. Sein größtes Problem bestand darin, seinen Winterspeck loszuwerden, den er während unserer

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