African Boogie
sich an Polanskis Schreibtisch fest. Etwas berührte ihre Kniekehlen. Einer von Polanskis Sesseln. Ihre Beinmuskeln gaben nach. Sie sackte zusammen und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Oh, Scheiße«, murmelte sie leise.
Sie hatte Andreas Amendt … Sie hatte ihn geküsst! Das konnte auch nur ihr passieren: Sich ausgerechnet in den Mörder ihrer Familie zu verlieben.
»Katharina?«
Warum hatte ihr niemand etwas gesagt? Andreas Amendt nicht. Polanski nicht. Thomas nicht. Ihr Partner. Ihr toter Partner.
»Frau Klein!«
Es war ausgerechnet Thomas’ Tod gewesen, der sie zu Dr. Andreas Amendt geführt hatte. Sie und Thomas waren in eine Schießerei geraten. Sie hatte überlebt, ihr bester Freund hatte weniger Glück gehabt. Sie hatte seine Leiche identifizieren müssen und war prompt in den Gerichtsmediziner hineingelaufen. Zufällig. Nicht mal direkt in der Gerichtsmedizin. Irgendwo auf dem Gelände der Uni-Klinik. Oder war die Begegnung gar kein Zufall? War er ihr gefolgt?
Plötzlich hatte sie sich mitten in den Ermittlungen zu zwei Mordfällen wiedergefunden. Dr. Amendt war nicht von ihrer Seite gewichen. Wiedergutmachung? Oder wollte er nur herausfinden, was sie wusste? Rechtzeitig zur Stelle sein, wenn sie von seiner Tat Wind bekam? Um sie gleichfalls …?
»Kriminaldirektorin Katharina Klein!«
Polanskis Stimme riss sie aus dem Strudel ihrer Gedanken. Richtig! Das war sie: Katharina Yong Klein. Tochter einer koreanischen Mutter und eines deutschen Vaters. Kriminalpolizistin. Kriminal direktorin ! Sie war ja befördert worden. Weggelobt.
Katharina wurde endlich wieder bewusst, wo sie war. Sie saß im Büro von Kriminaldirektor Polanski. Ihr Chef lehnte an der Kante seines Schreibtischs und hielt ihr einen Cognac-Schwenker hin.
»Trinken Sie das!«
Sie gehorchte und stürzte den Weinbrand hinunter. Verschluckte sich. Hustete.
»Wohltuende Wärme im Abgang!« Der Erfinder dieser Phrase musste Feuerschlucker im Zirkus gewesen sein.
»Katharina? Alles in Ordnung?«
Diese Frage brachte das Fass endgültig zum Überlaufen.
»Alles in Ordnung?«, stieß Katharina unter hysterischem Lachen hervor. »Mein Partner ist tot. Ich habe zehn Tage mit dem Mörder meiner Familie zusammengearbeitet, ohne dass irgendjemand den Anstand hatte, mir zu sagen, wer er ist. Und ich bin frisch ernannte Chefin einer Kamikazeeinheit.«
»Hören Sie, es tut mir leid. Aber mir waren die Hände gebunden. Sie wissen doch, Sie als Angehörige … Und ich dachte … Sie hätten etwas gefunden, was ihn entlastet. Nachdem Sie die Akte jetzt kennen … Aber die haben Sie noch gar nicht gelesen, oder?«
Richtig. Die Akte zur Ermordung ihrer Familie. Die sie nicht haben durfte. Die sie aber doch von ihrem toten Partner geerbt hatte, dem sie unter etwas mysteriösen Umständen zugespielt worden war. Die in ihrem Safe in ihrem Wohnzimmer lag. Ungelesen.
»Ich war beschäftigt.«
»Es tut mir wirklich leid. – Aber …«, Polanski hielt einen Moment inne, »Sie haben jetzt wichtigere Probleme. Sie wissen doch …«
Sie wusste … was? Katharina wusste, dass sie auf dem Weg nach draußen gewesen war. Weg aus dem Polizeipräsidium. Doch sie war noch einmal umgekehrt, um Polanski zu fragen, woher er eigentlich Andreas Amendt kannte. Und davor?
Sie hatte hier in diesem Büro gesessen. Zusammen mit Polanski und dem seltsamen Mann, der permanent Eukalyptuspastillen lutschte.
Worüber hatten sie noch mal gesprochen? Verdammt, das musste doch erst … Wie lange war das jetzt her? Zehn Minuten? Eine Viertelstunde? Ein Wort tauchte in ihrem Bewusstsein auf. »Ministro.« Spanisch für Minister. Oder für Pfarrer. Sie erinnerte sich, dass sie das komisch gefunden hatte. Warum?
»Katharina, Sie müssen sich jetzt wirklich zusammenreißen. Ihr Leben hängt davon ab«, drängte sich Polanski in ihre Gedanken. »Sie müssen untertauchen!«
Untertauchen! Richtig! Das war es! Sie hatte Miguel de Vega erschossen. Den Sohn von Felipe de Vega. Dem südamerikanischen Drogenboss. Er hatte Rache geschworen und ihr einen der besten Killer der Welt auf den Hals gehetzt. Codename Ministro.
Wie war das noch genau gewesen? Der Innenminister hatte sie zur Kriminaldirektorin befördert. Sie hatten Champagner getrunken. Katharina hatte Andreas Amendt geküsst, der sich plötzlich aus ihrer Umarmung gelöst hatte und weggerannt war. Und dann hatte sie eine Durchsage in das Büro von Polanski beordert. Dort hatte sie falsche Papiere erhalten. Etwas
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