Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
zischten.
Was vom Unwetter blieb, war der Wind. Beinahe nahtlos rissen die Wolken auf und die Äquatorsonne brannte auf die vom Regen wie frisch gewaschen glitzernde tropische Inselwelt, als hätte es den eben noch fauchenden und tosenden Sturm nicht gegeben. Vor uns lagen noch mehrere Stunden Fahrt bis Mtanga Wanda, dem Hafen an Pates Westküste. Mtanga Wanda – ein Name, den wir uns auf der Zunge zergehen ließen, wie aus tausendundeiner Nacht. Es wurde eine wilde Fahrt. Mit bis zum Zerreißen geblähtem Segel durchpflügten wir den stahlblauen Ozean, angetrieben von der noch immer boshaft wütenden Nachhut des vorangegangenen Sturms. Buba vollführte dabei auf der Mtenga immer wieder akrobatische Meisterleistungen. Bei einer Mtenga handelt es sich um eine robuste Holzplanke, die als Ausleger Verwendung findet und an dessen auf die See hinausragenden Teil je nach Bedarf ein Crewmitglied klettern kann, um mittels einer Leine das Segel mehr oder weniger hart am Wind zu halten. Bei extremen Windbedingungen lässt sich dadurch die Ausnutzung der Windkräfte optimieren und ein Segeln erst ermöglichen. Die Mtenga und der Umgang mit ihr sind sozusagen das, worauf es beim Dau-Segeln ankommt. Und Buba beherrschte diese Disziplin in Perfektion. Immer wieder griff er korrigierend in die Lage der Dau auf dem Wasser ein. Indem er blitzschnell auf das äußerste Ende des Auslegers kletterte und sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen lehnte, gelang es ihm jedes Mal, die Dau vor dem Kentern zu bewahren und auch nach starker Schräglage wieder aufzurichten – nicht ohne dass dabei der gesamte Rumpf samt überhängendem Ausleger vollständig von schäumender Gischt überspült wurde.
In Pate wartete eine Welt auf uns, wie sie fremder nicht hätte sein können. Umgeben von Kokospalmen und Bananenstauden erweckten die aus grob behauenem Korallenstein erbauten Häuser von Pate Town den Eindruck, als ging es nicht spartanischer. Obwohl Heimat von mehreren hundert Menschen lag der Ort bei unserem Einmarsch zu Fuß wie ausgestorben in der untergehenden Sonne. Während Ali und Mohammed bei der Dau blieben, führten Buba und Barak Michael und mich zur einzigen Unterkunft für Reisende – einem abgewohnten Steinhaus mit unverputzten Wänden und einem Dach aus Palmenblättern. Dafür sorgte ein Generator für ausreichend Strom, um den Innenhof, abendlicher Treffpunkt des Viertels, mit einer gelblich matten Neonröhre zu erleuchten.
Bild 35: Unser Zimmer auf Pate
Trotz, oder vielleicht gerade wegen dieser Kargheit fühlten Michael und ich uns ausgesprochen wohl. Wir genossen es, von unserem Zimmer im ersten Stock aus, die Vorbereitungen für das Abendessen zu beobachten und dabei heimliche Zeugen der Intimität zu werden, die zwischen den Familienmitgliedern, Männern wie Frauen, herrschte. Wir waren überzeugt, nirgendwo sonst böte sich die Möglichkeit, so tief in die somalisch-islamische Gesellschaft einzutauchen, wie hier und heute in diesem von jeglicher Modernität verschmähten Winkel Afrikas.
Nach einer Runde mit dem Herrn des Hauses durch die bereits stockdunklen Gassen – einem Irrgarten in Grau, ohne vertraute Fixpunkte zur Orientierung – bekamen wir in einer Ecke des Innenhofs unser reichhaltiges, wie am Vortag aus unterschiedlich zubereitetem Fisch, mehreren Currygerichten, Salat und Brot bestehendes Abendessen serviert. Nicht ohne vorher, pünktlich und in der Gemeinschaft aller Anwesenden, das tägliche Fastenbrechen zu zelebrieren.
Es war für uns jedes Mal ein erhebender Augenblick zwischen all den unbekannten Gesichtern Platz zu nehmen und in der Geborgenheit dieser gastfreundlichen Menschen, als Gleiche unter Gleichen, unser Mahl einzunehmen. Heute mochten es neben Buba und Barak sicher zehn weitere Männer sein, die Schulter an Schulter mit uns zu Abend aßen. Doch was für uns einen der Höhepunkte des Tages darstellte, schien nicht für alle Besucher die gleiche Bedeutung zu haben. Übereinstimmend bestätigten mir alle Anwesenden, dass wir die ersten ausländischen Gäste seien, die zusammen mit ihnen ihr Essen einnahmen. Auf meine erstaunte Frage, wie es unsere Vorgänger denn gehalten hätten, übersetzte Buba uns: „Die wenigen Besucher, die es bis hierher schaffen, ziehen sich zumeist mit einer selbst mitgebrachten Flasche Rotwein in ihr Zimmer zurück und verzichten, sei es aus übertriebener Vorsicht oder aus Ekel vor den hygienischen Umständen, ganz darauf, etwas von den Frauen
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