Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
sonst so kühle Buba ging aus sich heraus und ließ sich zur Tollerei verleiten. All unser kindlicher Überschwang und die ganze rauschhafte Ausgelassenheit waren einzig und allein diesem jegliche Vernunft eliminierenden, sämtliche rationalen Gedanken vorübergehend auslöschenden, großartigen Naturerlebnis an diesem von der Welt scheinbar vergessenen Küstenabschnitt geschuldet. Dass sogar Buba, der schon einige Male hier gewesen war, sich mitreißen ließ, unterstreicht noch einmal, wie intensiv wir dieses Naturspektakel erlebten.
Als wir uns wieder etwas gefangen hatten, traten wir – durch das grandiose Erlebnis leicht wie Federn – den Rückweg an. Wir überquerten die staubige, nicht asphaltierte Landepiste des Flughafens von Kiwaiyu und stießen inmitten eines schattigen Akazienwäldchens auf ein abgeschiedenes Dorf, dessen alte, im traditionellen Suaheli-Stil errichteten Häuser den Eindruck erweckten, als stünden sie seit Anbeginn der Menschheit an jenem märchenhaft vergessenen Ort.
Auf unseren letzten Metern plauderte Barak aus seinem Leben. Bei mir, dem Fremden, ging das Undenkbare. Hier konnte er sich öffnen. Es sprudelte aus ihm heraus, was schon lange verschlossen schien. All die Ärgernisse. Dass er zu Hause sehr unter dem Joch seiner Mutter litt. Obwohl er erst einen Tag vorher aus Mombasa heimgekehrt war, ergriff er bei der erstbesten Gelegenheit die Flucht und ging mit uns auf große Fahrt. Ohne Erlaubnis der Tyrannin. Bei der meldete er sich erst aus sicherer Entfernung und mit vielen Seemeilen Abstand. Und er schimpfte weiter. Das verfluchte Studium in Mombasa, das ihn so weit bringen sollte – zu Ehre und Ruhm der ganzen Familie – und das er so wenig wollte wie den Knochenjob als Koch in einem der Touristenhotels der Stadt. Als vermaledeite Goodwill-Aktion, denn die Mittel für seinen Unterhalt während des Studiums lagen bereit und waren mehr als genug. Welchen Traumberuf würde er denn gern haben? Das hätte ihn seine Familie auch gefragt. Vergeblich seine Antwort. Er müsste sich unterordnen, die Familienetikette ließe es nicht zu, seinen Traumberuf zu ergreifen: Um nichts lieber auf der Welt wäre er der Kapitän einer eigenen Dau. Je größer, desto besser. Dann könnte er sein Leben lang nichts anderes tun, als über die Meere segeln. Tja, wer möchte ihm diesen Traum verdenken?
Durch Barak erfuhren wir auch ein paar Interna aus Bubas Leben. Leider waren es keine guten Nachrichten. Buba war ein Trinker, seine Dau gehörte nicht ihm, sondern einem Europäer, der durch seinen Beruf – er war Pilot bei einer großen ausländischen Airline – regelmäßig nach Lamu kam und jeweils mehrere Monate blieb. Blieb Buba trocken, war er einer der ausgezeichnetsten Seefahrer, der auf Lamu zu finden war. Nur wenn ihn seine Dämonen jagten, schindete er die ihm anvertraute Dau arg und gefährdete dabei nicht selten Mannschaft und Passagiere. Es war dem Ramadan zu verdanken, dass Kapitän Buba länger als sonst üblich abstinent blieb. Er hatte in ganz Lamu Wetten gegen sich laufen und die meisten sahen ihn bereits lange vor dem großen Fest zum Abschluss des Ramadan, dem Īdu l-Fitr, wieder durch die Gassen stolpern. Doch zur Überraschung aller mied er bislang eisern jeden Tropfen Alkohol.
Segelten wir bis Kiwaiyu ausschließlich bei sehr ruhigem Seegang, der nur geringes seemännisches Können erforderte, änderten sich auf unserer Überfahrt nach Pate die Voraussetzungen. Vom einen auf den anderen Moment war es vorbei mit der spiegelglatten See, und eine Schlechtwetterfront verdunkelte den eben noch wolkenlosen Himmel dramatisch. Als würde die Welt untergehen, kam ein starker Nordwestwind auf und eine Wand hernieder prasselnden tropischen Regens wurde, einem alles nieder reißenden Sturzbach gleich, auf uns zu gepeitscht. Jetzt war Bubas ganze Erfahrung gefragt – und die der restlichen Mannschaft.
Für nautische Heldentaten war es aber bereits zu spät. Uns blieb keine andere Wahl, als in einer seichten Bucht an der Westküste Pates an Land zu gehen und den Sturm abzuwarten, zu unsicher schien die Weiterfahrt. Schnell wurden die Segel gerefft und die Dau so weit wie möglich in flaches Gewässer gezogen. Anschließend flüchteten wir ins Mangrovengehölz und kauerten gemeinsam unter einer eilends aufgespannten Plastikplane, während der Sturm über uns hinweg tobte, dass sich die Kasuarinen bogen und die von den Böen abgerissenen Mangrovensamen wie Schrapnelle ins Wasser
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