Afrika, Meine Passion
deren Mitte sich der heilige Pushkar-See befindet, liegt am Rande der Wüste Thar. Während der Fahrt merke ich, wie sich die Landschaft verändert. Sie wird trockener und einer Halbwüste ähnlicher. Ich sehe Frauen in ihren leuchtend roten oder rosa Gewändern durch die Steppe wandern, und sogleich erinnere ich mich an Barsaloi. Wenn es auch anders ist, so rufen die karge Gegend und die Farbtupfer doch unwillkürlich eine Sehnsucht in mir wach. Es ist unglaublich, wie schnell mich die Vergangenheit einholt! Mit jedem Kilometer wird dieses Gefühl intensiver und überall ziehe ich Vergleiche mit dem Samburu-Land. Wenn ich Frauen sehe, die Krüge oder Kanister mühsam mit einem Becher mit Wasser füllen, um sie anschließend auf dem Kopf durch die Halbwüste zu tragen, fühle ich mich schon fast zu Hause. Es ist verrückt. Ich wollte weg von Afrika und begegne in Indien doch wieder meiner zweiten Heimat. Meine Freundin ermahnt mich leicht genervt: »Corinne, wir sind in Indien und nicht in Afrika!« Ja, ich weiß es, aber erst jetzt berührt etwas meine Seele. Vorher habe ich zwar gestaunt, aber nichts Tieferes empfunden.
Wir werden Zeugen der Pushkar Mela, eines bedeutenden religiösen Festes. Die Inbrunst, mit der sich Massen von Menschen den rituellen Handlungen hingeben, ist für mich faszinierend, aber auch ein wenig fremd.
Das nächste Ziel, nur eine Flugstunde von Pushkar entfernt, ist Mumbai. Für mich ist es fast wie ein Kulturschock, als ich sehe, wie modern und freizügig sich die Mädchen und Frauen hier kleiden. Willkommen in der modernen Welt! Die Streifzüge durch diese überbordende Mega-City sind sehr aufregend, aber auch extrem anstrengend. Deshalb gönnen wir uns zum Abschluss unserer Reise eine viertägige Erholung an einem wunderschönen Strand im Süden Indiens.
Als wir unser dortiges Hotel aufsuchen, wundern wir uns über die vielen schwer bewaffneten Polizisten vor dem Gebäude. Jeder Wagen wird genauestens untersucht und unser Gepäck und wir selbst werden vor dem Hotel gescannt. Wir vermuten, dass sich wohl eine hohe Persönlichkeit im Hause befinden muss. Erst viel später am Abend erfahren wir durch das Fernsehen, dass sich in Mumbai, das wir ein paar Tage vorher verlassen haben, ein Terroranschlag ereignet hat. Es wurden Geiseln genommen und etliche Tote sind zu beklagen. Genau in dem Lokal, in dem wir eingekehrt sind, wurden ebenfalls einige Menschen getötet. Mit Entsetzen und klopfendem Herzen verfolgen wir die Meldungen und danken Gott, dass wir noch am Leben sind. Wieder einmal hatte ich einen Schutzengel!
Ende November kehre ich nach Lugano zurück. Indien hat mich fasziniert, aber nicht so tief berührt wie Afrika. Vielleicht müsste ich länger und langsamer reisen. Doch Afrika bleibt für mich einmalig. Man steigt aus dem Flieger, und die Luft vibriert. Man fährt durch die Gegend und spürt sofort die unglaublich pulsierende Energie. Man schaut die Menschen an und sieht in den Gesichtern Emotionen, die uns Europäer tief im Inneren berühren. Das habe ich in Indien in diesem Ausmaß nicht so empfinden können.
D er Dezember zieht kalt ins Land und alle sind mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Ich selbst muss mich erst darauf einstellen, da Indien von jeglicher Weihnachtsstimmung weit entfernt war.
Wie wahrscheinlich viele Menschen auf dieser Welt lasse auch ich das Jahr mit besinnlichen Gedanken, was wohl kommen mag, ausklingen. In Indien ist es mir leider nicht gelungen, eine Idee zu entwickeln, wie meine Beschäftigung im nächsten Jahr aussehen könnte. Aber ich bin in der glücklichen Lage, mir Zeit lassen zu können.
Am 30. Dezember 2008 liege ich im Bett und blättere in einem Reisemagazin, das durch ein wunderschönes Indien-Cover mein Interesse geweckt hat. Plötzlich fällt mir eine Anzeige ins Auge, die mich sofort in den Bann zieht:
»Wo die Welt noch wild ist: Naturverbundener Abenteuer-Fotograf sucht zuverlässige Autorin/Reisepartnerin mit viel Mut und Humor für Expeditionen. Bin zu Fuß mit Kamelen unterwegs. Interessiert?«
Und ob ich interessiert bin! Meine Leidenschaft ist das Bergwandern. Die ganze Nacht hindurch überlege ich, was wohl hinter der Anzeige stecken mag. Was versteht der Inserent unter wild und abenteuerlich? Mit meinen extremen »Buscherfahrungen« bin ich in dieser Hinsicht nicht so leicht zu beeindrucken. Doch am nächsten Morgen steht fest: Corinne, schreibe dem Mann, und du wirst sicher eine interessante Reaktion erhalten.
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