Afrika Quer (German Edition)
gesagt: „Das ist ja widerlich!“
Aber jetzt erzählte er, er sei siebzehn und lebe mit seiner Mutter und seinen Brüdern und Schwestern in London. An seiner Tasche hing noch der Gepäckschein der internationalen Fluglinie, und sein Englisch war exzellent, mit leicht amerikanischem Akzent.
Seine Familie war schon wegen des Bürgerkrieges während der achtziger Jahre im Norden Somalias nach London geflohen. „Weil die Clans in Somalia gegeneinander kämpfen“, sagte er. Und als er mir von London erzählte, dass er aufs Gymnasium ging, am liebsten HipHop hörte und am Wochenende im Restaurant einer Hamburger-Kette arbeitete, erschien er mir wie der coole englische Teenager. Aus einer Minderheit und nicht im Westend wohnend vielleicht, aber perfekt integriert, selbstsicher und den somalischen Jungen in Nairobi in seinem Alter um Längen voraus.
Alles passte. Sein Basketball-T-Shirt, und dass er wie selbstverständlich erzählte, seine Mutter lebe von der „Welfare“, der Sozialhilfe.
Aber je näher wir Bosasso kamen, um so mehr zeigte sich noch ein anderer Mohammed. Einer, der sich beschwerte, dass das Flugzeug so langsam fliegt und dass die Reise sich so lange hinzieht. Ich weiß nicht mehr, woran ich es merkte, aber mit einem Mal war mir klar, Mohammed hat fürchterliche Angst vor dem, was ihn in Bosasso erwartet.
Er hatte erzählt, er werde seinen Vater besuchen. Der arbeite dort als Fischer und schicke immer etwas Geld nach London. Also fragte ich Mohammed, wie lange er denn seinen Vater schon nicht mehr gesehen hat. Nach der Antwort war alles klar: Noch nie. Er erzählte das so, als sei das die normalste Sache der Welt. Und mit seinem Vater telefoniert hatte er auch noch nie. Und bei dem Mädchen mit der Hijab neben mir auf der Sitzbank war es dasselbe.
Dass die Teenager noch nie in Somalia waren, hätte ich nie geahnt. Untereinander hatten sie in Somali gesprochen. Und auch jetzt konnte ich in ihrem Redefluss nur das Wort „Majerteen“ ausmachen.
So heißt der Clan, der die Region um Bosasso kontrolliert. Das Mädchen hatte wohl gefragt, ob Mohammed zu den Majerteen gehört. Das hätte einiges einfacher für die beiden gemacht.
Als ich Mohammed jedoch danach fragte, sagte er, sie hätten nicht über ihre Clanzugehörigkeit gesprochen. Er tat so, als wäre das überhaupt nicht von Bedeutung. Dann stierte er angestrengt zum Fenster hinaus. Er hörte nicht mehr, dass das Mädchen ihn etwas fragte, und als er dann doch reagierte, blieb sie stumm und nestelte fahrig an ihrer Uhr herum.
Der Gedanke daran, was sie in Bosasso erwartete, hatte sie beide ins Grübeln gebracht. Bis zur Landung blieb er drohend im Raum stehen wie schlechter Atem. Damit musste jedoch jeder alleine fertig werden. Für sie gab es nun nichts mehr zu besprechen. Untereinander nicht und mit mir, der etwas erfahren hatte, das sie nicht preisgeben wollten, schon gar nicht.
Nun taten mir die beiden Teenager leid. Wegen des Bürgerkrieges waren sie mit ihren Eltern ins Ausland geflohen. Somalia kannten sie nur noch von den Horror-Berichten aus den Medien. Jetzt waren sie auf dem Weg in ein fremdes Land, in dem jeder Haushalt bewaffnet ist, wo es täglich Schießereien gibt, und wo sie für Weichlinge, für „Sijuis“ (Kisuaheli = Ich weiß nicht) gehalten werden, auf jeden Fall nicht für richtige Somalis.
Schon beim Abstieg nach Galkayo hatte die Maschine Turbulenzen durchflogen, weil der Wind hier ungehindert über die heiße, flache Steppe fegen kann. Und auch jetzt schlingerte das Flugzeug gewaltig. Das Mädchen zog ihren Hijab über den Kopf und klammerte sich wimmernd an die Kette, die die Aussteigleiter mit dem Flugzeugrumpf verbindet.
Mohammed übersetzte, sie habe beim Landen immer Probleme mit dem Herzen. Diese Herzprobleme kannte ich: unbändige Flugangst. Ich hatte mich selbst oft genug jammernd in meinen Sitz gebohrt. Aber auch mir hatte es geholfen, meine Augen zu bedecken. Ich glaube, weil ich so besser verdrängen kann, in welcher Höhe über dem Boden sich das Flugzeug befindet.
Und wie es oft so ist: Wenn es anderen schlecht geht, wird einem erst so richtig bewusst, wie gut es einem selbst geht. Nun war ich an der Reihe, mich bäuchlings auf den Khat zu legen, in Gedanken die Arme auszubreiten und gelöst zu Boden zu segeln. Ich war froh, dass die Rollenverteilung einmal umgekehrt war. Dass ich, der Weiße, einmal nicht der einzige war, der nervös ist, weil er gleich in einem fremden Land landet.
Es kam wie
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