After Moonrise (German Edition)
Toten hinein folgst, verlässt dich deine übersinnliche Gabe. Du musst menschliche List und deinen eigenen Verstand benutzen, um den Verlorenen aufzuspüren .
„Stimmt ja. Damals klang das nach einer guten Nachricht. Jetzt bin ich mir nicht sicher, wie es um meine Tücke bestellt ist, ganz zu schweigen von Verstand. “ Seine Stimme klang seltsam in seinen eigenen Ohren, als würde sie nicht mehr zu seinem Körper gehören. Verdammt, er fühlte sich seltsam, als würde er selbst nicht mehr zu seinem Körper gehören.
„Wahrscheinlich ist das auch eine gute Nachricht, wenn man bedenkt, wohin ich gehe. “ Dann schloss Raef den Mund und, nachdem er Lauren noch ein letztes Mal angesehen hatte, auch die Augen.
Er dachte an Aubrey. Ihr Lachen und ihre Freude. Wie er sich fühlte, wenn sie in seiner Nähe war. Nein, nicht nur heiß und hart und sexy. Ironischerweise hatte ein totes Mädchen in ihm noch ganz andere Gefühle wieder zum Leben erweckte, die er für immer verloren geglaubt hatte, weil er sein ganzes Leben mit Tod und Zerstörung verbracht hatte.
Und sie nannte ihn Kent. Niemand außer Aubrey hatte ihn mehr Kent genannt, seit seine Gabe entdeckt worden war.
Raef rief sich Aubreys Licht vor Augen und hielt es fest in seinen Gedanken und seinem Herzen, und mit aller übersinnlichen Kraft, die er besaß, streckte er seine Gabe aus, tastete, suchte …
Sie zu finden war einfacher, als er erwartet hatte, auch wenn Aubreys Licht keine strahlend leuchtende Spur mehr war. Alles, was von der sonst so hell schimmernden Bahn der Freude blieb, war ein einziger dünner Lichtstrahl, der die Farbe von schalem Champagner hatte. Die Trübheit von Aubreys Licht erschreckte ihn so sehr, dass es die letzte Verbindung zu seinem Körper trennte. Raef spürte, wie sein Geist aus dem kalten Seminarraum schnellte. Aber er verschwendete keine Zeit damit, sich zu überlegen, wie zum Teufel er zurückkommen sollte. Er zögerte nicht. Stattdessen eilte er Aubreys immer trüber werdendem Licht hinterher und spürte ihr mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit nach, die er nie zuvor erlebt hatte, was gleichzeitig gut und schlecht war. Es war gut, weil es ihn wie mit einer Kanone direkt ins Land der Toten schoss. Es war schlecht, weil es ihn wie mit einer Kanone direkt ins Land der Toten schoss – und ihm nicht einmal einen Herzschlag lang Zeit blieb, sich auf diese Erfahrung vorzubereiten.
Auch wenn ich nicht weiß, wie irgendwer sich auf diesen Mist vorbereiten sollte, sagte Raef zu sich, als er langsam wieder zum Stehen kam. Aubreys schwach flackerndes Licht verschwand im Jammertal, das sich unter ihm auftat.
Zuerst erreichten ihn die Geräusche. Die Stimmen, die zu ihm heraufdrangen, waren eine schreckliche Mischung aus Schluchzen und Schreien und Flehen. Vergeblich versuchte er, einzelne Worte auszumachen. Es war, als wäre er mitten in einem Amphitheater gelandet, in dem eine chaotische Symphonie der Hoffnungslosigkeit gespielt wurde. Er sah sich um und suchte nach dem Ursprung der Stimmen. Doch es war schwer zu erkennen, was sich unter ihm befand, weil über allem ein dichter Nebel waberte. Als Raef sich weiter in Richtung Boden sinken ließ, lichtete der Nebel sich stellenweise und gab den Blick auf vollkommene Trostlosigkeit frei. Die Landschaft glich einer Mischung aus Mojavewüste, Antarktis und einem Ödland nach einer nuklearen Katastrophe. Das Land war fast vollkommen farblos, weit und breit nichts, was fruchtbar war oder Schutz spendete. Überall lag etwas verstreut, was Raef zunächst für seltsam ausgeformte Steine hielt, die aus dem kargen, vor Dürre aufgerissenen Boden ragten. Erst als einer der Steine sich bewegte, wurde ihm klar, dass es überhaupt keine Steine waren – es waren Körper, die auf groteske Weise mit dem Land verschmolzen waren. Hier wuchs eine Schulter hervor, dort war ein Kopf ohne Augen mit dem Gesicht nach oben erstarrt, woanders stach ein Arm heraus.
Und es kam noch schrecklicher, als einer der verschmolzenen Körper den Mund öffnete und kreischte.
Raef schüttelte sich vor Ekel. In diesen Körpern war noch Leben, auch wenn ihnen Farbe, Beweglichkeit und Ausdruck fehlten, und sie waren mit dem Land verwachsen.
Aubrey? Oh, Gott, ist einer von ihnen Aubrey? Oder Lauren? Hält Braggs sie so gefangen – nicht aus eigener Kraft, sondern mit der Kraft dieses schrecklichen Ortes?
Fast panisch suchte Raef erneut nach der schmalen Lichtspur, aber er fand nichts – spürte nichts. Er
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