Agent 6
formulierte er seine Bedenken in eine Frage um:
– Er kommt heute Abend an?
– Sie sind nicht das einzige Team, das diesen Auftrag erhalten hat. Ich habe erst spät spontan beschlossen, Sie einzubinden. Ich habe bei Ihnen ein gutes Gefühl, Demidow. Unser Gast wird zu Hause so genau beobachtet, dass es verständlich wäre, wenn er seine Loyalität zu unserem Land überdenken würde. Ich will, dass meine besten Leute an dieser Sache arbeiten.
Kuzmin drückte Leo kurz die Schulter, um sein Vertrauen in Leos Fähigkeiten zu bekräftigen und ihm gleichzeitig klarzumachen, wie wichtig dieser Auftrag war:
– Seine Liebe für unser Land muss um jeden Preis geschützt werden.
Moskau
Haus an der Uferstraße
Serafimowitsch-Straße 2
Am nächsten Tag
Leo bildete zusammen mit Grigori eines von drei Teams, die unabhängig voneinander dafür sorgen sollten, dass Austins Programm nach Plan ablief. Dabei war nicht Austins Leben bedroht, sondern seine hohe Meinung vom sowjetischen Staat. Der Einsatz von drei Teams mit sich überschneidenden Arbeitsaufträgen und demselben Ziel sollte etwas Wetteifer in die Operation bringen und außerdem der Tatsache Rechnung tragen, dass nicht immer alle auf ihrem Posten sein konnten – wenn ein Team versagte, konnte ein anderes einspringen. Diese außergewöhnlichen Vorsichtsmaßnahmen unterstrichen, wie wichtig Austins Besuch war.
Man hatte ihnen ein Auto zur Verfügung gestellt. Vom Lubjanka-Platz, dem Hauptquartier der Geheimpolizei, war es nicht weit zur Serafimowitsch-Straße und dem exklusiven Wohnkombinat, in dem Austin untergebracht war. Man hatte erwartet, dass er ein Zimmer im Hotel Moskva beziehen würde, im fünfzehnten Stock mit Blick auf den Roten Platz, aber er hatte abgelehnt. Er wollte lieber in einem der Wohnkombinate untergebracht werden, nach Möglichkeit bei einer Familie mit Gästezimmer. Er wollte:
Das echte, unverfälschte Leben, hautnah.
Austins Bitte hatte für große Bedenken gesorgt, weil man ihm eine Vision der künftigen kommunistischen Gesellschaft zeigen sollte, ein Abbild ihrer Möglichkeiten, und nicht die Gesellschaft, wie sie in Wirklichkeit bestand. Als Idealist mit Prinzipien hatte sich Leo diese Täuschung damit schöngeredet, dass die Revolution ja noch längst nicht abgeschlossen war. Nur noch wenige Jahre, dann würden sie im Wohlstand leben. Aber im Moment war ein freies Gästezimmer in einer Stadt, in der chronischer Wohnungsmangel herrschte, undenkbar. Und Austin bei einer russischen Familie wohnen zu lassen war viel zu riskant. Abgesehen von den beengten Verhältnissen könnte jemand vielleicht etwas Unpassendes sagen. Für Austin eine ideale Familie zu inszenieren war in dieser kurzen Zeit zu schwierig. Er hatte erst um die Änderung gebeten, als sie schon vom Flughafen losgefahren waren.
In panischer Hast improvisierten sie die Unterbringung in der Serafimowitsch-Straße 2. Es war eine absurde Idee, ein Wohnprojekt für die politische Elite, das mehr als vierzehn Millionen Rubel gekostet hatte, als typisch für die vielen neu entstehenden Wohnkombinate auszugeben. Im Gegensatz zu den meisten Wohnblocks mit kleinen aneinandergereihten Zimmern, Gemeinschaftsküchen und Außentoiletten beherbergte dieses Haus nur zwei große Wohnungen pro Etage. Allein das Wohnzimmer umfasste einhundertfünfzig Quadratmeter – auf so viel Platz waren normalerweise mehrere Familien untergebracht. Obendrein waren die Wohnungen luxuriös eingerichtet, sie besaßen Gaskocher, fließend warmes Wasser, Telefon und Radio. Es gab Antiquitäten und silberne Kerzenleuchter. Angesichts eines Gastes, der so sensibel auf soziale Unterschiede reagierte, beunruhigte Leo das dichte Netz aus Dienstboten, das den Bewohnern von der Wäsche bis zum Kochen und Putzen alles abnahm. Er konnte die anderen Hausbewohner überreden, ihren Dienstboten für die Dauer von Austins Besuch freizugeben. Sie willigten ein, denn die mächtigen und reichen Bürger fürchteten die Geheimpolizei genauso wie die armen, wenn nicht noch mehr. Die früheren Bewohner, darunter der kommunistische Theoretiker Nikolai Bucharin und Stalins Kinder, Wassili Stalin und Swetlana Allilujewa, konnte man kaum als durchschnittliche Bürger der Sowjetunion bezeichnen. Die Lebenserwartung in diesem Haus war vielleicht noch geringer als die von Menschen, die in schlimmstem Elend lebten. Luxus bildete keinen Schutz vor dem MGB . Leo selbst hatte in diesem Gebäude zwei Männer verhaftet.
Nachdem sie das Auto
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