Agnes: Roman (German Edition)
Eis oder füttern die Vögel. Ich weiß es nicht.«
Agnes hatte noch nicht wieder angefangen zu arbeiten. Ihr Professor hatte gemeint, sie könne bis nach Weihnachten zu Hause bleiben. Er schien sie sehr zu schätzen, und wenn sie von ihm sprach, wurde ich fast eifersüchtig.
»Er ist ein alter Mann«, sagte sie.
»Ich auch. Ich bin auch ein alter Mann.«
»Er ist doppelt so alt wie du.«
Ich erzählte Agnes von Louise. Sie sagte nichts, sie wurde nicht einmal wütend. Ihre Gleichgültigkeit kränkte mich.
»Schreib es auf«, sagte sie, »schreib die Geschichte weiter und schreib alles auf, was geschehen ist. Das Kind, der See, Louise …«
»Ich habe weitergeschrieben«, sagte ich, »du hast das Kind bekommen in der Geschichte.«
Ich hatte gezögert, Agnes zu zeigen, was ich geschrieben hatte. Aber jetzt bat sie mich darum, und als sie es gelesen hatte, freute sie sich und meinte nur, ich hätte einen anderen Namen wählen sollen.
»Wie möchtest du es denn nennen?«
»Es ist schon getauft. Man kann einen Namen nicht ändern.«
»Ich habe ein Buch gekauft«, sagte ich.
»Erzähl mir von Margaret«, sagte Agnes, »wenn sie am vierten Mai geboren ist, dann ist sie ein … Was ist sie dann?«
»Ein Stier. Ich dachte, du glaubst nicht an Astrologie.«
»Das ist egal. Du hast doch dieses Buch über die Sternzeichen.«
Ich holte das Buch und las vor: »Der Stiertyp wird von der Venus bestimmt. Es ist die Zeit, da der Frühling auf der ganzen Linie gesiegt hat, ein Umstand, der sich auch im Charakter des Stieres zeigt. Stiere sind friedlich und ausgeglichen, haben ein starkes Liebesverlangen und sind zu großer Leidenschaft fähig.«
Agnes nahm mir das Buch aus der Hand und blätterte darin.
»Hier«, sagte sie. »Sie besitzen eine vortreffliche Kombinationsgabe und scharfe Logik. Oft zeigt sich auch eine mathematische Begabung. Siehst du, sie schlägt nach mir.«
Ich schaute ihr über die Schulter. »›Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß‹, ist seine Devise«, las ich.
»Du mußt es aufschreiben«, sagte Agnes, »du mußt uns das Kind machen. Ich habe es nicht geschafft.«
Ich saß den ganzen Nachmittag am Computer, und Agnes saß neben mir und diktierte mir oder korrigierte mich. Unser Kind wuchs schnell, es lernte schon nach einer halben Seite zu gehen, kurz darauf zu sprechen. Wir schrieben über einen Besuch bei den Großeltern in Florida, über Ferien in der Schweiz, Kinderkrankheiten, über Weihnachten. Margaret bekam die schönsten Geschenke. Ein Dreirad, Bauklötze, Puppen, ein erstes Buch. Agnes und ich heirateten, dann bekamen wir ein zweites Kind, einen Jungen. Wir waren glücklich.
»Ich kann nicht mehr«, sagte ich endlich, »wir können doch an einem Nachmittag nicht eine ganze Familiensaga schreiben.«
»Dann gehen wir spazieren und überlegen uns, wie es weitergeht«, sagte Agnes.
27
Wir gingen nach draußen. In letzter Zeit waren wir nur noch im Park spazierengegangen, aber jetzt wollte Agnes in die Stadt. Es war Samstag, und in den Straßen wimmelte es von Leuten, die Weihnachtseinkäufe machten. Vor einem Spielwarengeschäft blieb Agnes stehen.
»Ich möchte Margaret einen Teddy kaufen«, sagte sie.
Wir gingen ins Geschäft und kauften einen großen Teddybär.
Dann sagte Agnes, ich müsse unserem Baby auch etwas schenken, und wir kauften eine Puppe.
»Laß uns in die Kleiderabteilung gehen«, sagte Agnes. »Meinst du nicht …«, ich zögerte, »meinst du wirklich, daß es gut ist?«
Aber Agnes war schon vorausgegangen. Als ich sie einholte, sah ich, daß ihr Tränen über das Gesicht liefen. Wahllos nahm sie einige Kinderkleider aus den Gestellen, einen Wollpullover, ein Paar gestreifte Latzhosen, eine Mütze. Ich versuchte, sie zu beruhigen, aber sie hörte nicht auf mich, bezahlte mit ihrer Kreditkarte und lief dann aus dem Geschäft. Ich folgte ihr, aber ich verlor sie fast, so schnell wand sie sich durch die Menschenmenge. Erst kurz vor dem Doral Plaza holte ich sie ein. Jetzt ging sie langsamer. Sie sprach noch immer nicht. Schweigend fuhren wir mit dem Lift nach oben. In der Wohnung stellte Agnes ihre Plastiktüten ab und ging ins Schlafzimmer.
Ich zog gerade meine Schuhe aus, als sie an mir vorbei ins Badezimmer rannte, die Tür hinter sich zuwarf und abschloß. Ich hörte sie laut weinen.
»Was ist los?« rief ich durch die Tür.
»Im Schlafzimmer …«, schluchzte sie.
Ich ging ins Schlafzimmer. Vor dem Fenster schwebte eine Gondel, in der zwei
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