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Agnes: Roman (German Edition)

Agnes: Roman (German Edition)

Titel: Agnes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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dark veins of her mother,
    Secret by the unmourning water
    Of the riding Thames.
    After the first death, there is no other.
    »Ich verstehe es nicht«, sagte ich.
    »Wenn es keinen Tod mehr gibt, gibt es auch kein Leben mehr«, sagte Agnes.
    »Es ist nur ein Gedicht«, sagte ich, »du darfst das nicht so ernst nehmen. Es sind nur Worte.«
    »Ein Kind ist in mir gestorben«, sagte Agnes, »in meinem Bauch, sechs Zentimeter groß. Ich konnte ihm nicht helfen. Es ist in mir gewachsen, und es ist in mir gestorben. Weißt du, was das heißt?«
    »Denkst du noch immer daran?« sagte ich.
    Agnes drehte sich um und weinte in ihr Kissen. Das Buch fiel zu Boden. Ich hob es auf und deckte Agnes zu. Sie schlief bis gegen Abend, und ich las. Als sie aufwachte, war sie ruhiger. Aber sie hatte Fieber, und die Erkältung war schlimmer geworden. Ich kochte Tee für sie und saß bei ihr, bis sie wieder eingeschlafen war. Dann ging ich am See spazieren.
    Es hatte aufgehört zu schneien. Als ich fror, ging ich in das Café am Ende des Parks. Die Kellnerin machte Licht und brachte mir einen Kaffee. Dann verschwand sie wieder durch die Tür hinter der Theke. Ich schaute auf den See hinaus. Zum erstenmal dachte ich an unser Kind, nicht nur an Agnes, an ihre Schwangerschaft, an ihren Verlust. Nicht an Margaret. Ich dachte an das Kind, an das sechs Zentimeter große, unbekannte Kind, das ich nicht gewollt und das ich verloren hatte. Es hatte keinen Namen und kein Gesicht. Ich wußte nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen war. Ich hatte Agnes nie danach gefragt. Ich verließ das Café. Draußen war es dunkel geworden, und während ich am See entlangging, ordneten sich meine Gedanken, und plötzlich wußte ich, wie die Geschichte von Agnes weitergehen mußte. Als habe sich eine Tür geöffnet und als sei nun alles klar zu sehen und ganz leicht zu erreichen. Agnes schlief noch immer, als ich nach Hause kam. Ich schloß die Tür zum Schlafzimmer und setzte mich an meinen Computer. Ich war etwas benommen, vielleicht weil ich aus der Kälte gekommen und weil es in der Wohnung warm war, fast zu warm. Ich war mit der Geschichte beinahe bis zum Weihnachtsfest gekommen, aber als ich jetzt zu schreiben begann, fehlten die Festtage. Ich merkte gleich, daß Agnes mir näher war als sonst. Es war, als schreibe ich nicht selbst, als beschreibe ich nur, was in meinem Kopf wie ein Film ablief. Ich sah Agnes auf einem menschenleeren Bahnsteig stehen. Es war Nacht. Ein Zug fuhr ein, er war fast leer, und Agnes stieg ein. Ich schrieb.
Die Fahrt nach Willow Springs dauerte fast eine Stunde. Als Agnes ausstieg, war Mitternacht lange vorüber, aber man hörte noch immer das Knallen von Feuerwerk, und manchmal wurde der Himmel einen Augenblick lang von bengalischem Feuer erleuchtet. Agnes fror, obwohl sie ihren dicken Wintermantel trug, aber selbst das Frieren schien weit weg zu sein, es war, als stelle sie die Kälte nur fest, ohne sie zu fühlen. Sie ging durch lange Straßen, an Reihen kleiner hölzerner Häuser vorbei, aus denen noch hier und da Stimmen und Musik zu hören waren …
    Ich hatte das Gefühl, ich schriebe schnell, und doch war es schon sehr spät, als ich endlich nicht mehr weiterkam, als die Bilder stillstanden und sich auflösten. Ich las das Geschriebene noch einmal, und es war mir, als lese ich es zum erstenmal. Ich wußte nicht, wohin dies führen sollte, und doch wußte ich, daß ich so nicht weitermachen konnte, daß es unmöglich war, unzumutbar für Agnes, unerträglich für mich. Ich mußte endlich ein Ende finden für Agnes, einen guten Schluß. Aber ich war zu müde, speicherte nur den Text und schaltete den Computer aus.
    Ich zog mich aus und legte mich neben Agnes. Sie atmete ruhig und tief und wandte sich, ohne aufzuwachen, zu mir und legte einen Arm auf meine Taille. Ich schlief sofort ein.

31
    »Hast du den Schluß geschrieben?« fragte Agnes am nächsten Morgen. Es ging ihr etwas besser, aber sie war heiser und sagte, sie habe beim Schlucken starke Schmerzen.
    »Ich bin noch nicht fertig«, sagte ich.
    Zum Frühstück stand Agnes auf, doch gleich danach legte sie sich wieder hin. Ihre Mutter rief an. Ich nahm den Hörer ab. Ich hatte noch nie mit Agnes’ Eltern gesprochen, hatte nie an sie gedacht. Agnes schien bis auf seltene Telefongespräche keinen Kontakt mit ihnen zu haben.
    Ich brachte ihr das Telefon ins Schlafzimmer. Als ich wieder im Wohnzimmer saß, hörte ich, wie sie sagte: »Ein Freund, der zu

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