Agnes: Roman (German Edition)
faßt und schon in den ersten Stunden des neuen Jahres wieder mißachtet, leere Worte, gut gemeint.
»Der Schluß ist immer schwierig«, sagte ich, »das Leben hat keine Schlußpointen. Es geht weiter.«
»Das ist ein Geschenk«, sagte Agnes. »Ein Neujahrsgeschenk.« Sie versuchte, mir in die Augen zu schauen, und ich umarmte sie, damit ich ihrem Blick ausweichen konnte, und sagte: »Ich werde das jetzt zusammen mit den anderen Seiten binden, dann hast du dein Büchlein. Das Buch Agnes .«
Als sie später aus dem Schlafzimmer kam, hatte ich noch nicht damit angefangen. Ich saß im Korbsessel und starrte hinaus in das Schneetreiben.
»Was machst du?« fragte sie.
»Ich denke nach.«
»Über die Geschichte?«
»Ja«, sagte ich. Der Film in meinem Kopf hatte wieder zu laufen begonnen.
Ich war unruhig in den nächsten Tagen. Und als hätte ich Agnes angesteckt, ging es auch ihr nicht gut, und ihre Erkältung wurde schlimmer. Sie klagte über Schluckbeschwerden und starke, lähmende Kopfschmerzen und verließ das Schlafzimmer ganze Tage lang kaum.
Ich hatte den Schluß mit den anderen Seiten zu einem kleinen Heft gebunden. Aber sobald Agnes schlief, arbeitete ich weiter an der Geschichte. Ich ging alles noch einmal durch, änderte, korrigierte und ersetzte das Ende durch »Schluß2«, der sich, wie ich merkte, schon am Anfang abgezeichnet hatte. Es war der einzig mögliche, der einzig wahre Schluß.
Wenn Agnes mich fragte, woran ich arbeite, sagte ich, an den Eisenbahnwagen. Ich war oft abwesend, hätte am liebsten ohne Unterlaß geschrieben. Es war mir, als lebte ich nur noch in der Geschichte, als sei alles andere unwichtig, unwirklich, als sei es Zeitverschwendung zu essen, zu schlafen.
Agnes’ Krankheit machte mich gereizt. Ich kochte ihr noch immer Tee und brachte ihr das Essen ans Bett, aber sie spürte wohl meine Ungeduld und war gekränkt.
»Du mußt nicht den ganzen Tag bei mir bleiben«, sagte sie. »Geh nur in die Bibliothek, wenn du Lust hast. Vielleicht ist Louise dort.«
»Darum geht es nicht. Es tut mir nur leid, daß du nichts von deinen freien Tagen hast. Ich hasse es, die ganze Zeit zu Hause zu sitzen.«
»Aber das brauchst du nicht. Ich bin ja nicht todkrank. Mir geht es ganz gut, solange ich im Bett bleibe.«
Ich ging wieder an den See, spazierte durch den Grant Park. Als es mir zu kalt wurde, ging ich in die Bibliothek. Louise war nicht da. Ich holte mir einen Roman und las eine Stunde. Dann, ohne mich um das Ende zu kümmern, brachte ich das Buch zurück.
»Du warst lange weg«, sagte Agnes, als ich zurückkam.
»Du hast doch gesagt, du wolltest allein sein.«
»Es war kein Vorwurf, sei doch nicht so empfindlich. Ich habe gesagt, es stört mich nicht, wenn du gehst. Nicht, daß ich allein sein will.«
»Hast du geschlafen?«
»Nein. Ich habe ferngesehen.«
»Ich habe gedacht, du mußt im Bett bleiben?«
»Ich habe mich zugedeckt.«
Ich kochte, und wir aßen in der Küche.
»Was machen wir Silvester?« fragte ich.
»Ich glaube nicht, daß ich bis dahin gesund bin.«
»Wie kannst du das wissen? Hast du keine Lust, mit mir auszugehen?«
»Doch, ich habe Lust. Aber ich bin krank. Ich fühle mich nicht wohl. Warst du in der Bibliothek?«
»Nicht wegen Louise. Es war mir zu kalt draußen, und ich wollte nicht gleich wieder zurückkommen. Ich wollte dich nicht stören.«
»Du störst mich nicht. Ich sage nur, daß du nicht den ganzen Tag auf mich aufzupassen brauchst. Es macht mir nichts aus, wenn du ausgehst. Es macht mir auch nichts aus, wenn du auf die Party von Louise gehst.«
»Wirklich nicht?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Sie kennt viele interessante Leute. Es könnte wichtig sein für das Buch.«
»Wir sind ja nicht verheiratet.«
»Es könnte auch wichtig sein für uns. Wenn ich hierbleiben will, muß ich schauen, daß ich die richtigen Leute kennenlerne.«
»Ich mag nicht streiten«, sagte Agnes, »ich bin müde und krank.«
33
»Dein Haar wird langsam dünn«, sagte Agnes, »du wirst alt.«
Ich war zu ihr ins Schlafzimmer getreten, um mich zu verabschieden.
»Versprich mir, ein Taxi zu nehmen, wenn du nach Hause kommst«, sagte sie.
»Es kann spät werden. Mach dir keine Sorgen.«
»Rufst du mich an um Mitternacht?«
»Ich kann es nicht versprechen. Du weißt ja, wie es auf einer Silvesterparty um Mitternacht zugeht. Aber ich kann es versuchen.«
Wir umarmten uns, und sie küßte mich heftig.
»Alles Gute«, sagte sie.
»He«, sagte ich lachend, »ich
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