Akasha 01 - Die Renegatin von Akasha
zittern. Er ist krank. Allein die Vergegenwärtigung dieser Tatsache ermöglichte ihr ein Unterdrücken des Wunsches, einen Psioniker, der sich nicht scheute, Mitmenschen durch Indiskretionen zu kränken, schlichtweg mit Gewalt aus der Welt zu schaffen. Er ist krank.
»Entscheiden Sie sich für die Therapie bei einem Messianer«, sagte sie schnell und eindringlich, sich der Sinnlosigkeit dieses letztmaligen Versuchs bewußt. »Machen Sie Schluß mit all den Fragwürdigkeiten. Gehen Sie mir aus dem Weg.«
»Die Messianer sind verschwunden«, konstatierte Loyer fran Brigge.
»Sie werden wiederkommen!«
»Oder verhält's sich so«, meinte Winthrop regelrecht versonnen, »daß die Versuchung am größten ist, der Verzweiflung nachzugeben? Ja, ich denke mir, Djamenah, so könnte es sein.«
Er trat noch einen Schritt näher. »Diese Überlegung ...«
»Bleiben Sie stehen!«
Winthrop hatte recht. Das Leuchten in seinen Augen entsprang vollkommenem Triumph. Er hatte recht. Djamenah fühlte die Macht der Versuchung, das Verführerische der Verzweiflung, ihre Unwiderstehlichkeit. Sie selbst hatte, als sie von Zarda LeVay die Waffe annahm, eine Situation geschaffen, die Standhaftigkeit unmöglich machte.
Sie durfte nicht schießen. Sie war Ciristin. Liebe und Harmonie.
»Gib's auf, Djamenah.« Winthrop tat den, einen, letzten Schritt, der sie endgültig in seine Reichweite brachte.
Sie konnte sich auf keinen Fall von ihm mit Säure begießen lassen. Auch eine Ciristin war nur ein Mensch.
»Stehenbleiben!«
Nun flehte sie ihn praktisch an. Ohne Aussicht auf Erfolg. Er straffte sich, drehte ein wenig den Oberkörper. »Verzweiflung, Djamenah«, raunte er. »Dies wird ein Sieg der Verzweiflung sein.«
»Halt!«
»Verzweiflung ...« Er bog den Arm mit der Flasche nach hinten.
»Nicht!« Wie ein Schluchzen.
Liebe und Harmonie.
Der Sensitrigger reagierte auf den Fingerdruck binnen einer Nanosekunde, ein Kanister-Raketenprojektil fauchte aus dem Lauf der Waffe, ins Ziel gesteuert von einem Mikrosensor, so daß Winthrop ihm nicht einmal, wenn ihm ein Ausweichen gelungen wäre, hätte entgehen können, und unmittelbar bevor es ihn traf, zerbarst es in eine Mischladung aus Thermo- und Explosivschrot:
Die Wucht der mehreren Dutzend Treffer warf Winthrop rückwärts, als höbe ihn etwas mit einem Ruck von den Füßen, und
– die Geschosse schlugen in seinen Leib
– und er schrie laut und tierisch
– die Geschosse bohrten sich in seinen Körper, in die Organe und Gefäße
– und Djamenah schrie, als wäre sie selbst getroffen worden, sie schrie laut und tierisch, denn
die Belastung war zu groß für ihre Nerven geworden, sie konnte die Mentalmodulation nicht länger aufrechterhalten, darum spürte sie, was Winthrop spürte, jeden einzelnen Wundkanal, den der Schrot durch sein Gewebe sengte, als sie tat, was sie nicht tun durfte, nicht als Ciristin. SIE HATTE GEWUSST, EINE CIRISTIN TRÄGT KEINE WAFFE. Was nun geschah, hätte sie vermeiden können.
Zweifel und Unsicherheit galten als verzeihlich. Erst jetzt war der Moment ihres Scheiterns, ihres vollständigen Versagens, der Augenblick, in dem sie aufhörte, Ciristin zu sein.
Die Flasche entglitt Winthrops Hand,
– Geschosse detonierten in seinen Eingeweiden, zerrissen Lungen, Leber, Magen und Därme und Nieren
– Geschosse verglühten in Eruptionen blaßroten Feuers zwischen Knochen und Muskeln, verbrannten Sehnen, Fett und Knorpel, und Flammen loderten aus den Einschüssen
– und er schrie noch einmal
– und mit ihm schrie Djamenah.
Liebe und Harmonie.
Säure floß an Winthrop hinab, rann ihm unter die Kleidung, fraß sie in Sekundenschnelle, Dampf brodelte empor wie aus einem Geysir, und Djamenah sah die Mono-Kombination sich in die Komponenten eines Multiplex-Overalls zerfasern, eines Kleidungsstücks, das mit wenigen Handgriffen in so gut wie jede andere Oberbekleidung umgewandelt werden konnte, und sie sah die Bio-Substanz einer Ganzkörpermaske schwelen, rasch verschmoren und schrumpfen, indem mit greulichem Zischen Gas aus den porösen Zellverbänden entwich.
Und da verstand sie, wie Winthrop es zustande gebracht hatte, an verschiedenen Orten in verschiedenerlei Gestalt aufzutreten. Vielleicht zählte es zu den psychischen Bedürfnissen seiner Multiplen Schizophrenie, des öfteren in Personifizierungen zu schlüpfen, und dies Zwangsverhalten hatte sich als dienlich bei seinen Umtrieben erwiesen, oder Ganzkörpermaske und Multiplex-Overall waren
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