Akasha 01 - Die Renegatin von Akasha
kabelartige Vorrichtungen gingen von ihnen aus und reichten bis in die Nabe des Habitats, wo dicht unterhalb der KKM einige energetische Anker glänzten. Infolge der geringeren Entfernung vom schwerkraftlosen Zentrum war die Eigenbewegung dieser Bauwerke deutlich langsamer als die des gewölbten Bodens.
»Oh, es freut mich, daß Sie diese Frage stellen, hochverehrte Besucherin«, schrillte der Äskulapnovize lebhaft. »Denn in den Gebäuden über uns kommen neue Patienten unter – also auch Sie, wenn Sie, woran ich nicht zweifle ...« – wieder das Zwinkern –, »... den Entschluß fassen, Ihr Sie sicher sehr belastendes Leiden bei uns behandeln zu lassen.« Er beäugte sie plötzlich mit neuem Interesse, und es schien sich auch so etwas wie dumpfe Besorgnis in ihm zu regen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, ich meine, wenn Sie mir meine Neugier verzeihen wollen und es mir nachsehen ...« Er schluckte und suchte nach den richtigen Worten. Dann platzte es einfach aus dem kleinen Humanoiden heraus: »Worin besteht denn Ihre Krankheit? Sie haben doch nicht etwa eine Blinddarmentzündung?«
Djamenah lachte laut. Der Äskulapnovize war ihr inzwischen nicht nur aufgrund seiner Offenheit sympathisch geworden, seine emotionalen Emanationen bildeten ein Muster, das sie ganz leicht interpretieren konnte. »Nein«, antwortete sie. »Es ist keine Blinddarmentzündung.«
Der Novize seufzte erleichtert. »Wissen Sie, ich muß leider eingestehen, daß ich den Memoschulungen in Hinsicht auf die Appendizitis nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit gefolgt bin.«
Djamenah ging kurz in die Knie und sah dem kleinen Humanoiden in die Augen. »Ich werde den Meistern nichts verraten«, sagte sie in verschwörerischem Tonfall.
»Oh«, machte der Novize. »Oh, das finde ich aber wirklich nett von Ihnen.«
»Können wir uns die Analysezentren ansehen?«
Der Zwerg sah nach oben. »Nun, eigentlich ...« Er überlegte angestrengt und furchte die Stirn so, daß sich tiefe Täler zwischen den einzelnen Hautfalten bildeten. »Ach, die Äskulapmeister befinden sich derzeit in der Konklave, und es macht sicher nichts, wenn ich Ihren Wunsch erfülle, ohne direkt dazu autorisiert zu sein.« Er musterte Djamenah erneut. »Sie verraten bestimmt nichts?«
Lächelnd schüttelte Djamenah den Kopf.
»Na gut. Kommen Sie.«
Sie brachten Stufe um Stufe der langen Treppe aus stabilisierter Energie hinter sich, und nach einer knappen Viertelstunde Normzeit hatten sie den ersten Oktaeder erreicht. Die ganze Zeit über beschrieb der Äskulapnovize der vermeintlichen Patientin die Vorzüge einer Behandlung in den Medizinischen Fakultäten, und er sparte dabei nicht mit überschwenglichem und seinen Meistern geltendem Lob. Djamenah hörte dem zwergenhaften Geschöpf höflich zu, und während sie versuchte, seinem schier endlosen Wortschwall zu folgen, sah sie sich immer wieder um. Abgesehen von dem leisen Zirpen der elektronischen Helfer herrschte in diesem Habitat eine seltsame Stille. Vielleicht war die Konklave dafür verantwortlich, die der Novize zuvor erwähnt hatte; aber Djamenah gewann eher den Eindruck, daß es den Meistern an Patienten mangelte, und möglicherweise konnte man mit diesem Umstand auch die hier und dort sichtbaren Anzeichen des Niedergangs erklären. Zwei der insgesamt fünfzehn Ergsonnen im Zentrum des Habitats leuchteten nicht mehr, und der Grund dafür war nicht etwa eine entsprechende Programmierung auf ›Nacht‹. Einige an Ergankern schwebende Häuser und Bauwerke waren ganz offensichtlich von ihren Bewohnern vor geraumer Zeit verlassen worden, und manche der Parkanlagen auf dem gewölbten Boden wirkten ungepflegt und leicht verwildert.
Die Beträge, die sich auf den Unitkonten der Äskulapmeister angesammelt hatten, schienen nicht mehr so hoch zu sein wie noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten. Möglicherweise war ihre Geschäftemacherei in anderen Habitaten bekanntgeworden. Djamenah war während der langen Jahrhunderte ihrer relativen Unsterblichkeit weit im Kosmotop Akasha herumgekommen und hatte Hunderte von Habitaten besucht, um dem Auftrag ihres Messianerlehrmeisters nachzukommen und unter den Völkern Akashas Liebe und Harmonie zu verbreiten. Mit nicht geringer Betroffenheit mußte sie aber feststellen, daß die Durchführung ihrer Aufgabe angesichts des vor dreihundert Jahren begonnenen Niedergangs immer schwieriger wurde – eines kulturellen und zivilisatorischen Verfalls, der auch an dem Habitat der Medizinischen
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