Akasha 03 - Das Exil der Messianer
gemacht zu haben. Trotz des Verfolgers hätte sie zunächst ein Hybridhaus aufsuchen und dort ihren Vitalsymbionten behandeln lassen sollen. Das von ihm in ihrem Leib induzierte Feuer der Agonie machte es ihr unmöglich, sich ausreichend zu konzentrieren. Sie hielt sich an ihren Erinnerungen fest, rief sich das Mandala der Hoffnung ins Bewußtsein zurück – und erschrak, als sie sah, daß es nicht mehr aus zwei Hälften bestand. Es war jetzt nur noch eine einzige schwarze Fläche.
Ein leiser Glockenton erklang, und es wurde wieder hell. Djamenah schlug die Augen auf. Die Haube löste sich von ihrem Kopf und verschwand in einer Deckenöffnung.
»Die Ihnen zugestattete Zugriffszeit ist verstrichen«, sagte die kühle Sprachprozessorstimme. »Bitte verlassen Sie nun das Terminalmodul. Der nächste Besucher wartet schon.«
Ohne Hoffnung gibt es keine Zukunft.
Djamenah stand auf, tat zwei Schritte und brach zusammen.
»Wachen Sie auf«, sagte eine sanfte und doch drängende Stimme. »Sie müssen fort. So rasch wie möglich.« Djamenah öffnete die Augen, und ihr Blick fiel nicht auf den silbrigen Glanz der Terminalkammer, sondern eine pastellfarbene Decke.
Direkt neben ihr stand ein alter, schlicht gekleideter Mann; seine schmalen Hände ruhten auf den Sensorflächen einer kleinen Konsole. Zunächst genoß die Ciristin die Ruhe, die in ihr entstanden, die Gelassenheit, die ihr über Jahrhunderte hinweg ein Begleiter gewesen war. Der Metastasenschmerz war nur noch diffus, kaum mehr als ein nicht lokalisierbares Prickeln irgendwo in ihrem Körper. Die Fläche, auf der sie lag, fühlte sich weich und warm an, gab nach, wenn sie sich bewegte. Aus einem verborgenen Lautsprecher drang leise Musik. »Haben Sie mich verstanden, Djamenah?« fragte der Alte. »Sie müssen aufstehen und gehen. Die Gefahr ist zu groß.«
Gefahr? Was für eine Gefahr?
Sie hob den Kopf, zwinkerte und versuchte, die Benommenheit zu durchdringen, die einen Teil ihres Denkens einhüllte.
Ein toter Messianer.
Das Symbol eines siebenzackigen Sterns.
Der Attentäter, zerfetzt von einer Waffe – einer Waffe, die sie abgefeuert hatte!
Liebe und Harmonie!
Flucht.
Immer wieder Flucht.
Und dann Besinnung im Tasmin tamasawritah . Erneut sah sie sich um. Das Zimmer war recht klein, aber betont elegant und komfortabel eingerichtet, mit Möbeln aus stabilisierter Energie, einem dicken, ockerfarbenen Teppich, mit holografischen Bildern an den Wänden (größtenteils Stilleben), einem Pseudofenster, das scheinbar Ausblick gestattete auf eine Landschaft aus weiten Wiesen mit Blumen, auf ferne Berge, einen nahen See mit einigen Segelbooten, auf Paare, die Hand in Hand am Ufer entlangschlenderten. Die leise Musik unterstrich die beruhigende Wirkung dieser von einem Simulator geschaffenen Szenerie.
An der einen Wand zeigte sich ein Symbol: ein Mensch und ein Alien, deren Fingerspitzen sich berührten. Darunter leuchteten mehrfarbige Schriftzeichen: LIEBE IST UNTEILBAR. Djamenah wußte plötzlich, daß sie sich in einem Hybridhaus befand, und bei dieser Erkenntnis regten sich auch wieder die anderen Erinnerungen. Mit einem jähen Ruck kam sie in die Höhe, und der alte Mann stützte sie, als sie schwankte. Erst jetzt stellte sie fest, daß es sich bei der Unterlage, auf der sie die ganze Zeit geruht hatte, nicht um eine Liege handelte, sondern einen speziellen Biotiker, der sich mittels bestimmter Nervenknospen mit ihrem Organismus verbunden hatte.
»Ich muß zurück«, sagte sie. »Zurück in die Terminalkammer.«
Der Alte lächelte nachsichtig. »Das wäre sinnlos, Djamenah«, erwiderte er. »Sie würden keine Zugriffszeit erhalten. Die Partizipantenliste ist lang. Und Sie können nicht warten. Der Verfolger weiß, wo Sie sich befinden.«
Sie war nackt, betrachtete sich in einem dreidimensionalen Spiegel. Das lange Haar fiel ihr bis auf die Schultern, und im matten Licht wirkten die grauen Strähnen wie Reflexe. Ihre großen, dunklen Augen saßen tief in den Höhlen, und trotz der Behandlung zeigten sich Ringe der Erschöpfung darunter. Noch spannte sich die Haut straff über die hervorstehenden Jochbeine. Unter den Brüsten und am Unterleib zeigten sich mehrere Narben. Wieviel Zeit hatte sie noch, wenn sie keine neue Dosis Ciri erhielt – zwei Monate, drei vielleicht? Sie erschrak zutiefst, und das Entsetzen nagte an der künstlichen Gelassenheit, die in ihrem Blutkreislauf zirkulierte. Sie versuchte, sich auf das Mandala zu konzentrieren, auf
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